Pannen ohne Ende

Belgien Anderthalb Wochen nach den Attentaten in Brüssel herrscht bei den Behörden Ratlosigkeit. Auch kommen immer mehr Versäumnisse ans Licht

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf ein belgisch-französisches Terrornetz

Aus Brüssel Eric Bonse

Zehn Tage nach den Terrorattentaten in Brüssel tappt die belgische Polizei immer noch im Dunkeln. Zwei mutmaßliche Täter sind wie vom Erdboden verschluckt: Der „Mann mit Hut“, den eine Überwachungskamera am Flughafen Zaventem gefilmt hatte, und ein Mann mit einer großen Tasche, der kurz vor der Explosion in der U-Bahn-Station Molenbeek gesehen worden war.

Wie ratlos die Behörden sind, macht ein ungewöhnlicher Fahndungsaufruf deutlich: Am Donnerstag wurden die Einzelhändler, aber auch gewöhnliche Bürger in Brüssel aufgefordert, alle Foto- und Videoaufnahmen aufzubewahren, auf denen Straßen, Bürgersteige und Geschäfte zu sehen sind.

Die Aufnahmen würden diskret behandelt, die Anonymität der Hobby-Filmer und -Fotografen bleibe gewahrt, versichern die Fahnder. Wozu sie das Material brauchen, verrieten sie nicht. Offenbar geht die Polizei davon aus, dass noch mehr Verdächtige unterwegs waren oder noch sind, als bisher bekannt.

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf ein belgisch-französisches Terrornetz, das auch für die Attentate von Paris am 13. November 2015 verantwortlich sein soll. Angeblich plant dieses Netzwerk, das sich zum sogenannten „Islamischen Staat“ bekennt, neue Anschläge. Nach einer Festnahme in Argenteuil bei Paris kam es deswegen gestern zu einer Großrazzia in Courtrai an der Grenze zu Frankreich.

Erschwert wird die Fahndung durch zahlreiche Pannen und Versäumnisse. So versäumten es die belgischen Behörden offenbar, Hinweisen auf die späteren Selbstmordattentäter Ibrahim und Khalid El Bakraoui nachzugehen. Neben der Türkei sollen auch die USA und die Niederlande vor den beiden Brüdern gewarnt haben, die sich später am Flughafen und in der Metro in die Luft sprengten.

Pannen gab es auch nach der Verhaftung des Paris-Attentäters Salah Abdeslam. Was wie ein Erfolg der belgischen Fahnder aussah, wurde zum Alptraum. Abdeslam deutete bei seiner Vernehmung an, dass ein Attentat in Brüssel bevorstehen könnte. Doch die Behörden reagierten nicht schnell genug; drei Tage später schlug der „Islamische Staat“ in Brüssel zu.

Wie sich später herausstellte, hatten die Ermittler nicht einmal nach Terrorplänen gefragt. Sie versäumten es auch, Abdeslam ein zweites Mal zu vernehmen – und vergaßen, die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen. So konnten die Attentäter am Brüsseler Flughafen und in der Metro problemlos ihre Bomben zünden.

Nach Darstellung flämischer Medien ist noch eine weitere Panne passiert: Bereits Anfang Dezember habe die Polizei der Kleinstadt Mechelen den Aufenthaltsort Abdeslams im Brüsseler Problemviertel Molenbeek gekannt. Doch die Information sei nicht weitergegeben worden, erst im März gelang der Zugriff.

Oppositionsführerin Laurette Onkelinx von den Sozialisten reagierte empört: Wenn dies stimmen sollte, so spreche es für einen „Krieg“ im belgischen Polizeiapparat – fast wie in den 80er Jahren, als Querelen verhinderten, dass die Behörden dem Kinderschänder Marc Dutroux auf die Schliche kamen. Nun soll ein Untersuchungsausschuss den Vorwürfen nachgehen.

Auch über diesen Ausschuss gibt es Streit: Soll er sich nur um die Polizeipannen am Tag der Brüsseler Attentate kümmern? Oder soll er auch die politischen Versäumnisse und Verantwortlichkeiten klären?

„Fehlstart für den Untersuchungsausschuss“, titelte die belgische Tageszeitung Le Soir. Nun dürfte erst Mitte April eine Entscheidung fallen. Bis die Untersuchung abgeschlossen ist und Konsequenzen gezogen werden, dürften noch Monate vergehen, wenn nicht Jahre.

Meinung + Diskussion