Auf dem Sellerieweg

Koreanische Woche der Wahrheit: Warum koreanische Autos Heidegger lieben

Immer mehr Geräte sprechen. „Milch ist alle, neue kaufen“, quillt es aus dem interaktiven Kühlschrank, „nächste Abzweigung rechts“, befiehlt der Lotse in Auto. Niemand ist freilich darauf vorbereitet, sich von Gebrauchsgegenständen längere Vorträge halten zu lassen, wie es mir bei der Testfahrt im neuen Hyundai „Apio“ geschieht. „Wil beglüßen den Fahlel im Apio, dem Göttelwagen. Genieße, o Lenkel, Sein und Zeit – Gewolfenheit ist Genuss ohne Leue. Lass die Solge fahlen, sagt Maltin“, ertönt nach dem Start. Amüsiert mag man das wegstecken und legt erfreut den ersten Gang ein. Ein deutlicher Geruch nach Sellerie macht sich breit.

„Hy-un-dai heißt da zu sein! Maltin wild dich geleiten zum Ziel“, säuselt hochfahrend das Navigationssystem. Schön, denke ich und suche auf der blinkenden Konsole vergeblich die Option „Nur optische Anzeige“. Wie geht’s jetzt weiter? „Angst ist die Solge des Seienden im Dasein. Nächste Kehle lechts, sagt Maltin“, meldet das System. Kehle lechts, also: Kehre rechts! Knapp noch geschafft.

Die Vordersätze werden immer länger. „Das Sein wird dem Seienden als bloßes Dasein erlebbal. Im Sein zum Tod nimmt das Nichts Anteil am Sein. Nächste Kehle links, sagt Maltin!“ Verpasst. Mist. „Ek-Sistenz ist Sein in del Kehle. Die Seinsflage muss neu gestellt welden. Ver-Kehl heißt Kehle im Sein. Kehle um, um da zu sein, sagt Maltin!“ So kann es nicht weitergehen: Bremsen, innehalten, abschließen, Hersteller fragen.

Das Rätsel löst sich im mehrstündigen Gespräch mit Dr. Kim I-Gang, den ich im schwäbischen Tübingen treffe. Dort, in der Hochburg der Philosophie, hat Dr. Kim I-Gang lange Jahre studiert. Als Verantwortlicher für Produktgestaltung und Marken- Philosophie beim koreanischen Autohersteller Hyundai kann er mir über das Neuartige am „Apio“ beredt Auskunft geben.

Der neue Verbundstoff – eine Bagasse aus den Spelzen der Selleriestaude, wie sie bei der Herstellung von Selleriepresssaft abfällt – wurde nicht nur für die Verkleidung verwendet, sondern auch bei fast allen Oberflächenbeschichtungen im Innenraum.

Daher der Selleriegeruch, der vor allem vom Ganghebel und den Pedalen ausgeht, ausgelöst durch die Körperwärme. „Selleli ist das Gewächs del Göttel. Die Gliechen gaben den Siegeln bei den Olympiaden Siegelklänze aus Selleli! Maltin hat uns die Gliechen nahe geblacht!“ Maltin, immer wieder dieser Maltin. Wer, bitte schön, ist Maltin? Maltin Laurids Brigge, eine Figur in einem Rilkegedicht, fällt mir ein. Dr. Kim lacht. „Nix Lilke – Heiddegel!“ Schlagartig wird es mir klal …– äh, klar, studierte ich doch auch einst in Tübingen, der Hochburg des deutschen Idealismus und – der Existenzphilosophie Martin Heideggers, der im nahen Schwarzwald, in einem Nest namens Todnauberg sein Leben zubrachte und mit dem ungenießbaren Wälzer „Sein und Zeit“ ganze Jahrgänge von hörigen Tübinger Studenten in höchste existenzielle Bedrängnis brachte.

Die Stimme Dr. Kims im Ohr – der offenbar die Texte des „Apio“-Navigators selbst eingesprochen hat – steht mir der verruchte Philosophieseminarraum in der Tübinger „Alten Burse“ wieder vor Augen. Wie hatten wir damals die koreanischen Gaststudenten bedauert, die sich wortreich mühten, das Kauderwelsch Heideggers zu verstehen, von dem wir Einheimischen schon nach zwei Sätzen ab- und dem Biere zuwandten.

„Heideggels Veldienst liegt dalin, die Seinsthesen der abendländischen Metaphysik seit Platon in Flage gestellt und die Seinsvelgessenheit der Modelne, die Sein nul als Seiendes velsteht, dulch eine Fundamentalontologie bekämpft zu haben, in del übel das Dasein als Da des Seins die Seinsflage ganz neu gestellt wild. Die Glundfolmen del Ek-Sistenz welden als Gewolfenheit, Angst und Sein zum Tod beschlieben …“ Plötzlich erkenne ich Dr. Kim wieder. Wie hatten wir ihn und die anderen asiatischen Sprachwalzen schon damals in den Seminaren gefürchtet. Nach der ersten Wortmeldung war die Sitzung gelaufen. Niemals hätte ich gedacht, dass mir Heidegger auf dem Umweg über den Hyundai „Apio“ jemals wieder Kopfschmerzen bereiten würde.

Ich rate Dr. Kim dringend, die Firmenphilosophie zu überdenken. „Heidegger im Navigationssystem ist ein existenzphilosophischer Holzweg“, beschwöre ich ihn, auf Heideggers Essay „Holzwege“ verweisend, doch er redet unbeeinflusst weiter. Ich schalte endgültig ab. Darauf erstmal ein Bier. Der „Apio“ von Hyundai wird sich mit Heidegger’scher Sprachverschlingung über kurz oder lang von selbst aus dem Verkehr ziehen. Aber Sellerie wird ab heute von der privaten Speisekarte gestrichen.

TOM WOLF