Das Ringen um die Zuwanderer

In der Ausstellung „Migrationen 1500–2005“ zeigt das Deutsche Historische Museum alle Facetten von Zuwanderung. Und erzählt die Geschichte von 500 Jahren brutaler Ausgrenzung alles Fremden

Nur Unverheiratete waren willkommen. Wer schwanger war, verlor seine temporäre Aufenthaltsgenehmigung

von Tina Hüttl

Die drei letzten Fotografien der Ausstellung „Zuwanderungsland Deutschland: Migrationen 1500–2005“ erzählen noch einmal alles, was man zuvor auf über 500 Quadratmetern im Deutschen Historischen Museum (DHM) gesehen hat. Aufgenommen sind alle drei Bilder im Deutschland nach 1990. Doch sie spiegeln die verschiedenen Pole, zwischen denen sich Migration seit Jahrhunderten bewegt: Zu sehen sind ausländische Eltern, die stolz ihr Baby samt bundesrepublikanischem Kinderausweis präsentieren. Auf dem nächsten Foto umklammert ein Vietnamese voll Zuversicht die gerade erworbene deutsche Arbeitsgenehmigung. Und schließlich blickt der Betrachter auf den Rücken eines Schwarzafrikaners, der kurz vor der Abschiebung von Polizisten umzingelt wird.

Die dauerhafte Eingliederung, die temporäre Suche nach Wohlstand durch Arbeit und die brutale Ablehnung – so beschreibt auch die DHM-Kuratorin Rosmarie Beier-de Haan die Weite des Begriffs „Migration“. Sich dem Thema anzunehmen, ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Das DHM hat es nicht gescheut und insgesamt fünf Jahre für die Ausstellung im Erdgeschoss des neuen Pei-Baus recherchiert. Hinter der Mühe steckt auch eine pädagogische Absicht: „Wir wollten zeigen, dass unser gegenwärtiges Ringen um Zuwanderungsfragen schon lange existiert“, sagt Beier-de Haan. Der Blick auf die lange Geschichte der Migration gebe wichtige Orientierungshilfen.

Mehr als 300 Exponate – Archivalien, Gemälde und persönliche Erinnerungsstücke – wurden zusammengetragen. Sie dokumentieren eindrücklich die politischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, religiösen und kulturellen Zusammenhänge von Zuwanderung. In acht Räumen spannt sich so ein großer Bogen von der frühen Neuzeit bis hin zur Gegenwart.

Am Samstag wird die Ausstellung nun eröffnet, zusammen mit der Schau „Die Hugenotten“, die sich ergänzend der speziellen Gruppe der französischen Glaubensflüchtlinge widmet. Doch auch die Besucher von „Migrationen“ erfahren viel über die religiösen Motive, die Menschen zur Wanderung bewegen. Fast immer vermischten sie sich auch mit handfesten wirtschaftlichen Interessen der Migranten wie derer, die ihnen Asyl gewährten. Ähnlich den Hugenotten wurden beispielweise auch die über 20.000 niederländischen Glaubensflüchtlinge im 16. Jahrhundert von den deutschen Duodezfürsten mit Bürgerrechten umworben. Von den versierten Technologen versprach man sich ökonomischen Aufschwung.

Dass Toleranz und die Bereitschaft zur Aufnahme damals wie heute an der Qualifikation hingen, wird deutlich, wenn man die Inschrift auf einem Stein aus einer Stadtmauer von 1479 liest: „Fahr Du Gauner“ heißt es da unmissverständlich. Mehr als unerwünscht waren seit je auch Sinti und Roma, wie „Zigeunerwarntafeln“ aus dem 18. Jahrhundert beweisen. Auf den dilettantisch gemalten Bildern, die an Grenzen und Stadteingängen ausgestellt wurde, baumeln dunkelhäutige Menschen am Galgen. Eine Abschreckung, die auch bei Leseunkundigen ankam.

Das im nächsten Raum folgende 19. Jahrhundert ist dann die Zeit der großen Arbeitsmigration. Während um das Jahr 1880 noch über 1,8 Millionen Deutsche nach Amerika auswanderten, wird das deutsche Kaiserreich mit zunehmender Hochindustrialisierung zum „Arbeitereinfuhrland“. Innerhalb der Reichsgrenzen zog es die Arbeiter gen Westen ins Ruhrgebiet. Die Lücke im Osten wurde mit polnischen Saisonarbeitern gefüllt. Auf einem alten Foto hacken junge, polnische Mädchen Rüben auf einem Acker – Vorläufer der heutigen Spargelstecher. Um kulturelle Einflüsse und gar die „Polonisierung“ abzuwehren, gab es strenge Auflagen. Nur Unverheiratete waren willkommen. Wer schwanger war, verlor seine ohnehin nur temporäre Aufenthaltsgenehmigung.

Mit dem Ersten Weltkrieg wird für die Saisonarbeiter aus dem Rückkehrzwang ein Rückkehrverbot. Die folgenden fünf Jahrzehnte, so zeigt das DHM, sind vom Schicksal von Millionen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in Deutschland geprägt. Hierbei von Migration zu sprechen dehnt den Begriff gefährlich weit – handelt es sich doch um Zwangsverschleppung.

Heller, auch in der optischen Raumgestaltung, wird es erst wieder im Nachkriegsdeutschland. Zwar noch ein wenig scheu, aber durchaus erwartungsvoll blicken da etwa die südkoreanischen Krankenschwestern 1969 in die Kamera des Fotografen, der sie direkt nach der Ankunft am Flughafen Tegel ablichtet. Aus Gastarbeitern wurden schließlich Einwanderer. Bis zu einem grundlegenden Wandel in der Migrationspolitik, die mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz im Jahr 2000 und dem Zuwanderungsgesetz von 2005 einsetzte, ist es noch ein langer Weg. Auch im DHM: Dazwischen liegen Spiegel-Titel mit der Schlagzeile „Das Boot ist voll“ und Wahlkampfposter zum „Asylmissbrauch“. Die kann man schnell hinter sich lassen. Außerhalb des Museums aber gibt es immer wieder Rückschritte.

Info: www.dhm.de