Elende Langeweile

KUNSTSCHLAUFEN Unter dem Titel „Der Zeit angemessen begegnen“ zeigt der Kunstverein in Oldenburg drei zeitgenössische Maler – ausgerechnet deren Verhältnis zum Vergehen der Zeit aber befremdet mitunter

Momente von Fortschritt und Moderne sind immer wieder Insignien des Bösen

Von Radek Krolczyk

Das Foto, mit dem der Oldenburger Kunstverein für diese Ausstellung wirbt, ist interessant: Ganz unscharf sieht man darauf einen Bahnsteig bei Nacht. Oben groß im Bild hängt eine große Bahnhofsuhr, was ihr aber fehlt, sind die Zeiger. Die Zeit scheint besiegt, steht nun still – ausgerechnet an einem Ort der Eile, an dem es auf jede Minute ankommen kann. Das klingt entspannt? Tatsächlich kann man sich auch ein netteres Setting vorstellen, als nachts alleine am Gleis. Gemacht hat das Foto Thomas Grötz. Gemeinsam mit Armin Boehm und Lutz Braun stellt der Berliner Maler jetzt unter dem Titel: „Der Zeit angemessen begegnen“ in Oldenburg aus. In der Ausstellung selbst ist das Bahnsteigfoto nicht zu sehen, dabei ist es möglicherweise die am weitesten entwickelte, vielschichtigste Arbeit, die damit zu tun hat.

Ähnlich wie es sich mit dem zeitentledigten Setting des nächtlichen Bahnsteigs verhält, gibt es Momente in der Kunstgeschichte, die einladender sind als andere. Das meiste dessen, was sich rund um den Ersten Weltkrieg herum entwickelte, gehört nicht dazu. Hier aber hängen bis heute noch viele Künstler fest – von den nun in Oldenburg ausstellenden sind das mindestens Boehm und Braun: Die erwähnten Jahre sind vielleicht die Zeit, der sie in ihrer Malerei stilistisch „angemessen begegnen“.

Welt in Unordnung

Nach dem Ende des „Dritten Reiches“ schloss die Kunst in Deutschland zunächst dort an, wo sie am Ende der Weimarer Republik gestanden hatte – und rutschte oftmals noch ein wenig weiter zurück ans Ende des Ersten Weltkriegs: Einflüsse von Expressionismus, Dadaismus und Surrealismus waren unübersehbar. Neben gewissen Techniken, stilistischen Mitteln und einem Arsenal an gemeinsamen Motiven ist eine bestimmte Haltung verbindend, die auf der Angst – oder mindestens einem unwohlen Erstaunen – vor einer in Unordnung geratenen Welt zu beruhen scheint. Stets pulsiert und wummert sie und blinkt in allen nur erdenklichen Farben. Party und Krieg überlagern sich, und am Ende siegt sowieso immer nur der Tod. Alles scheint hier über die Menschheit herein zu brechen, und die ist nicht in der Lage, sich seiner zu erwehren oder es in irgendeiner Weise mit zu gestalten.

Von Lutz Braun, geboren 1976 in Schleswig, ist in Oldenburg ein neun Meter langer Teppich zu sehen, „The Wood Brothers“ ist der Titel. Benutzt hat Braun ein handelsübliches Stück Teppichboden aus dem Baumarkt. Darauf hat er mit Acrylfarben eine fürchterliche Szenerie gemalt. Man sieht wahlweise taumelnde oder bösartige Gestalten, Kreuze, Totenschädel auch schwarze, ausgedörrte Bäume.

Ja, auf diesem Teppich großen Teppich soll wohl die ganze schlimme Welt dargestellt sein. So ein massives Format muss aber mindestens skeptisch machen: Es behauptet eine Allgemeingültigkeit, die man so nicht stehen lassen kann. Man muss vielmehr fragen: Ist diese Welt wirklich auf diese Weise schlimm? Tod ist ein allgemeingültiges Thema, sicher, und hat direkt zu tun mit der Zeit im Ausstellungstitel. Und schlimm, keine Frage, ist auch vieles auf dieser Welt. Aber warum einzig in der Gestalt von 1919? Anders gefragt: Warum gleicht der Tod im Jahr 2016 den Mittelalterfantasien der späten Expressionisten?

Tatsächlich sind die Momente von Fortschritt, Emanzipation und Moderne in Brauns Arbeiten immer wieder Insignien des Bösen. „Hey…!“ etwa zeigt eine barbusige junge Frau, die eine Weinflasche in Händen hält. Hinter ihr braut sich, als Rausch, das Unheil zusammen. In „Manifest” ist dann der Tod selbst zu sehen, mit Kapuze, im Höllenreich zwischen Rauch und Flammen. Um ihn herum schwirren Fledermäuse und – Computer. So viel Gegenwart immerhin findet hier Platz.

Verschobene Perspektiven

In den Bildern des 1972 in Aachen geborenen Armin Boehm kommen jene Zeichen der Moderne ähnlich daher, wenn auch mit anderen Vorzeichen: In Oldenburg zeigt der Schüler Jörg Immendorffs nun beispielsweise das Großformat „Wirklichkeit, leicht verfremdet“. Darauf sitzen zwei – wiederum nackte – Frauen in einer bergigen und bewaldeten Landschaft, daneben schlägt jemand eine Bongotrommel. Die kontrastreichen Farben sind flächig aufgetragen, die Perspektiven dadurch verschoben.

Noch deutlicher wird bei den zahlreichen Bar- und Partyszenen Boehms – von denen einige in Oldenburg zu sehen sind – die Nähe zu einem Maler wie Otto Dix. Was hier in mancher Hinsicht als Zeitlosigkeit erscheint, ist in Wirklichkeit eine Schlaufe elender Langeweile. Es ist nicht Brauns und Boehms Bildern vorzuwerfen, dass sich darin Momente der Kunstgeschichte wiederfinden. Ihr Problem ist die Art und Weise, wie diese Maler Welt erfahren und in Kunst übersetzen; darüber hinaus ist es dann doch das Festhalten an einer überalterten Gemengelage von Weltsicht und Ästhetik.

„Der Zeit angemessen begegnen“: bis 8. Mai, Oldenburg, Kunstverein

www.oldenburger-kunstverein.de