Kalter Krieg mit Waisenkindern

RUSSLAND Oberhaus verbietet Adoption von Kindern durch US-Bürger und reagiert auf Einreiseverbot für Beamte

Russische Waisen oder von ihren Eltern verlassene Kinder werden seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion jährlich zu Tausenden von wohlhabenden Familien im Westen adoptiert. Während Menschenrechtler dies als Chance für die Mädchen und Jungen sehen, in würdigen Verhältnissen und gesund aufzuwachsen, stören sich russische Patrioten und Nationalisten an diesem „Ausbluten der Nation“.

■ Regierungschef Dmitri Medwedjew nannte es ein Armutszeugnis für Russland, das seine Kinder offenbar nicht selbst großziehen könne. Er forderte seine Partei deshalb auf, ein Programm für die bessere Versorgung von Waisen zu erarbeiten. Russischen Medien zufolge leben derzeit etwa 105.000 Kinder in russischen Heimen. Insgesamt gebe es 678.000 Waisen – so viele wie in keinem anderen Land der Erde, schreibt die kremlkritische Zeitung Nowaja Gaseta.

■ In den vergangenen 20 Jahren haben US-Familien demnach rund 60.000 russische Kinder aufgenommen. Heute liegen aber europäische Länder wie Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und Irland ganz vorn. In den USA seien 2011 nur noch 956 Kinder aus Russland adoptiert worden, berichtete die Zeitung Kommersant. (dpa)

VON BARBARA OERTEL

BERLIN taz | US-Bürger dürfen ab dem 1. Januar 2013 keine russischen Kinder mehr adoptieren. Am Mittwoch und damit eine Woche nach der Duma verabschiedete der Föderationsrat, das russische Oberhaus, einstimmig ein entsprechendes Gesetz. Vor der Sitzung war das Parlamentsgebäude in der Bolschaja-Dmitrowka-Straße im Zentrum von Moskau von Sicherheitskräften weiträumig abgesperrt worden. Elf Personen, die gegen das Verbot demonstrierten, wurden vorübergehend festgenommen. Andere Demonstranten befürworteten das umstrittene Gesetz.

Mit Kindeswohl hat das „Dima-Jakowlew-Gesetz“ am allerwenigsten zu tun – auch wenn es nach einem russischen Jungen benannt worden ist, der 2008 gestorben war, weil ihn sein amerikanischer Adoptivvater bei brütender Hitze in einem Auto vergessen hatte. Tatsächlich handelt es sich um eine Antwort auf den sogenannten Magnitsky Act. Dieses Gesetz hatte US-Präsident Barack Obama vor zwei Wochen unterzeichnet. Es belegt rund 60 russische Beamte, die in den Tod des Rechtsanwaltes Sergei Magnitsky verstrickt sein sollen, mit Einreiseverboten der USA und friert ihren dortigen Immobilienbesitz ein. Magnitsky war 2009 in einem Moskauer Gefängnis angeblich durch Folter zu Tode gekommen. Zuvor hatte er Beamten des Innenministeriums vorgeworfen, den russischen Staat mittels Steuerhinterziehungen um rund 230 Millionen US-Dollar erleichtert zu haben.

In der vergangenen Woche hatte Staatspräsident Wladimir Putin auf einer Pressekonferenz den Magnitzki Act als einen „unfreundlichen Akt“ gegenüber Russland gegeißelt. Das Adoptionsverbot, das auch für andere Staaten gilt, sollten sie sich dem Magnitzki Act anschließen, bezeichnete er als „angemessene Reaktion“.

Doch darin wollen ihm offensichtlich nicht alle folgen. So berichtet das US-Wirtschaftsmagazin Forbes von einem Brief der Vizepremierministerin für soziale Fragen, Olga Golodez, an den Kremlchef. Darin merkt die Politikerin an, dass das Adoptionsverbot gegen die Wiener Konvention, die Kinderrechtskonvention und das russische Familienrecht verstoße.

„In Russland bleiben – das kommt einem Todesurteil gleich“

PROTESTIERENDER RUSSISCHER BÜRGER

Laut Angaben des Kinderrechtebeauftragten beim russischen Präsidenten, Pawel Astachow, müssen 46 Kinder, deren Adoptionsverfahren abgeschlossen waren, jetzt in Russland bleiben. Man werde dort nach Pflegefamilien für sie suchen.

„In Russland bleiben – das kommt einem Todesurteil gleich“, kommentiert ein Leser diese Ankündigung auf dem russischen Internetportal Gazeta-ru. Und ein anderer schreibt: „Ich bin zwar Atheist. Doch in Momenten wie diesen würde ich mir wünschen, dass es eine Hölle gäbe.“