Richter mit Präzision und Pathos

Selten hat ein Wirtschaftsstrafverfahren so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie der Fall Mannesmann. Heute verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) über die Freisprüche für Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel und vier weitere Angeklagte. Die Staatsanwaltschaft war in Revision gegangen. Vorsitzender Richter in diesem Verfahren ist Klaus Tolksdorf, der zurzeit wohl profilierteste Strafrichter am BGH.

Bekannt wurde Tolksdorf, der dem 3. Strafsenat vorsteht, vor allem durch die Verfahren gegen die beiden Hamburger Islamisten Mounir al-Motassadeq und Abdelghanie Mzoudi. Im Fall Motassadeq hob Tolksdorfs Senat die Verurteilung des Marokkaners zu 15-jähriger Haft auf, weil das Hamburger OLG bei der Beweiswürdigung die mangelnde Kooperation der USA zu wenig berücksichtigt hatte. Im Fall Mzoudi bestätigte der BGH einen Freispruch des OLG Hamburg. Beide Urteile wurden als Beweis für die Unabhängigkeit der deutschen Justiz angesehen.

Tolksdorf liebt gleichermaßen Präzision und Pathos. Wenn er in eine Verhandlung einführt, versteht jeder, worum es geht, aber auch welche Bedeutung eine Sache hat. Seine Prozesse leitet er mit leichter Ironie, aber auch mit gedanklicher Schärfe. Wenn er ein Urteil verkündet, wirkt es oft wie das Verlesen eines Manifests. Da wird zum Beispiel erst der Terrorismus in aller Deutlichkeit verdammt, um dann die Bedeutung des Rechtsstaates bei der Strafverfolgung hervorzuheben. Bei der Urteilsbegründung im Fall Motassadeq prägte Tolksdorf die Formulierung, der Kampf gegen den Terror dürfe kein „wilder ungezügelter Krieg“ sein. Eine Aussage, die viele als Spitze gegen das Vorgehen der USA im Irak werteten.

Mit rechtsstaatlichen Prinzipien begründete Tolksdorf vor wenigen Wochen auch den Freispruch für drei Rechtsradikale, die die Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ benutzt hatten. Dies sei nicht als NS-Parole strafbar, so der BGH, weil es im Dritten Reich eine solche Losung gar nicht gab.

Wie sich Tolksdorfs unerschrockene Haltung im Mannesmann-Prozess auswirkt, ist schwer abschätzbar. Er könnte die Prämienzahlung an die Mannesmann-Manager als zulässig ansehen, weil sie nicht deutlich genug verboten war. Die Zubilligung eines Verbotsirrtums für Ackermann und Co. könnte ihm aber auch zu sehr nach einem Geschenk an die Macht aussehen. Manche halten Tolksdorf für einen potenziellen Verfassungsrichter. Zunächst wird er jedoch nach Den Haag an das Jugoslawien-Tribunal gehen. Im Mai hat ihn die UNO-Generalversammlung als Ergänzungsrichter bestimmt.

CHRISTIAN RATH

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