„Alle müsstenvon ihren Palmen runtersteigen“

Vorschlag Der Hafen-Newcomer Wilhelmshaven könnte einen Teil des Geschäfts von Hamburg und Bremerhaven übernehmen, sagt Malte Siegert vom Naturschutzbund Hamburg

Malte Siegert

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51, leitet die Abteilung Umweltpolitik beim Naturschutzbund (Nabu) in Hamburg. Seine Spezialgebiete sind Häfen und Schiffe.

taz: Herr Siegert, was sind die Ursachen für die andauernde Krise der Frachtschifffahrt und der norddeutschen Häfen?

Malte Siegert: Das liegt einerseits an der Abkühlung der Weltwirtschaft, vor allem in China, und des EU-Embargos gegen Russland. Die zweite Ursache ist hausgemacht: der Preiskampf der Reedereien untereinander.

Die Konkurrenz um jede Kiste, selbst wenn man damit Verluste einfährt?

Das wurde provoziert, allen voran von der weltgrößten Frachtreederei Maersk, um Wettbewerber aus dem Markt zu schießen. Das ist nicht ganz gelungen, führte aber zu Überkapazitäten und Preisverfall. Letztlich hat am Ende niemand was davon.

Stimmt denn die Behauptung, dass Megafrachter mit 18.000 oder gar 20.000 Containern Kapazität wirtschaftlicher zu betreiben sind als ältere, kleinere Schiffe?

Bis zu einem gewissen Grad ist das wohl so, aber der Größenwahn erreicht jetzt bei rund 20.000 Containern seinen Zenit. Danach wird es wieder unrentabler. Aber die einzigen, die davon profitieren, sind die Reedereien. Für alle anderen wird es teurer.

Für die Häfen?

Durch den Bau größerer Terminals mit größeren Containerbrücken und mehr Lagerplatz, für den Hinterlandverkehr mit Bahn und LKW, für die Instandhaltung oder Ausbaggerung der Fahrrinnen – nicht nur in Hamburg und Bremerhaven, auch in vielen anderen Häfen weltweit.

Der Kostendruck für private Hafenunternehmen und der Finanzierungsdruck für die öffentliche Hand steigen?

Ja, die Anpassungen sind teuer. Und wenn die Häfen in Nordwesteuropa sich gegeneinander ausspielen lassen statt zusammenzuarbeiten, zahlt am Ende die öffentliche Hand immer ordentlich drauf.

Der Konkurrenzkampf der Reedereien zieht einen Konkurrenzkampf der Häfen nach sich?

Ja, sowohl der deutschen Häfen mit Rotterdam und Antwerpen wie auch untereinander. Und das wird teilweise auch noch aus Bundesmitteln finanziert. Das sind Parallelsubventionen, nur um föderale Interessen der Bundesländer zu befriedigen. Das ist aus strukturpolitischer Sicht falsch und aus steuerpolitischer Sicht reine Verschwendung. Mal ganz abgesehen von den ökologischen Schäden.

Zählt dazu aus Ihrer Sicht auch die geplante parallele Ausbaggerung der Unterelbe nach Hamburg und der Außenweser nach Bremerhaven?

Ja, klar. Die Prämisse lautet, dass in jedem Hafen alles möglich sein muss. Das ist volks- und betriebswirtschaftlich total widersinnig.

Die großen Reedereien diktieren die Bedingungen?

Zum großen Teil, ja. Anderseits sucht Ladung sich ihre Wege zu den Abnehmern. Deshalb werden Häfen wie Hamburg mit der Metropolregion und der Drehscheibenfunktion nach Ost- und Südosteuropa nicht untergehen. Aber womöglich etwas kleiner und dafür feiner werden.

Könnten nicht die Häfen in Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven durch Kooperation und Arbeitsteilung ihre Marktposition stärken?

Dazu muss erst mal geklärt werden, welche Funktion der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven haben soll. Ist er ein Hafen mit Hinterland oder ein reiner Transshipment-Hafen mit Verteilerfunktion nach Großbritannien, zu den Nordseeanrainern und auch in den Ostseeraum? Dann würden Hamburg und auch Bremerhaven diese Container verlorengehen. Das ist aus unserer Sicht kein Problem, denn das reine Umladen von Containern ist unter dem Aspekt der Wertschöpfung zu vernachlässigen. Für Bremerhaven und Hamburg bliebe die Ladung, die von dort kommt oder genau dahin soll. Das wäre eine vernünftige Lösung.

Dann müssten die Frachter einen Zwischenstopp in Wilhelmshaven einlegen, bevor sie nach Hamburg oder Bremerhaven weiterfahren?

Ja, damit wäre allen gedient.

Und die Vertiefungen von Elbe und Weser wären unnötig?

Die Schiffe würden dann mit weniger Ladung und weniger Tiefgang auf Weser und Elbe fahren. Oder es wird gefeedert, also auf kleinere Schiffe umgeladen. Die drei großen Nordseehäfen müssten nur stärker zusammenarbeiten, dann ginge das. Dann wären auch diese Mehrfachinvestitionen in die Infrastruktur – wie die Ausbaggerung von Elbe und Weser – unnötig. Da gibt es schon naheliegende Lösungen.

Und warum werden die, wenn es denn so einfach ist, nicht umgesetzt?

Dazu müssten alle Beteiligten erst mal von ihren Palmen runtersteigen, von denen sie die Welt betrachten.

Oder den Tellerrand?

Alle Länder, alle Regierungschefs, alle Wirtschaftsminister, alle Hafenmanager gucken nur auf ihre Interessen. Alle Häfen wollen alles, das ist überholtes Denken.

„Alles“ ist weniger geworden: Weltwirtschaft und Welthandel sind stark gesunken und damit auch die Warenströme.

Das kann auch wieder anziehen. Wichtig ist dann, dafür zu sorgen, dass dieses Wachstum gesünder, nachhaltiger und ökologischer ist. Dazu gehört auch die Entwicklung der Schifffahrt und der Häfen.

Interview: Sven-Michael Veit