„Ich will gute Romane schreiben“

Bucherfolg Von tollen Frauen, dem Zielen auf das Herz und Verfilmungschancen von einem Prozent – eine entspannteBegegnung mit dem Hamburger Schriftsteller Andreas Kollender, der den Spionageroman „Fritz Kolbe“ verfasst hat

Liest nicht, aber schreibt: Andreas Kollender Foto: Verlag

Von Frank Keil

Manchmal braucht es nur zehn Minuten im Fernsehen. Der Rest einer Sendung, spät abends, schnell noch reingezappt. Und ein Roman ist da. Nicht gleich natürlich, er muss ja noch geschrieben und noch später gedruckt werden. Aber ein Funke springt über (wie man so sagt), eine Idee setzt sich augenblicklich fest, die Helden flanieren über den Schreibtisch, sind nicht mehr aufzuhalten. Und alles läuft sozusagen wie von selbst.

So war das, als Andreas Kollender spätabends auf arte die eben letzten Minuten einer Dokumentation über Fritz Kolbe sah, basierend auf der Biografie des französischen Journalisten Lucas Delattre. Fritz Kolbe?

„Ich kenne mich eigentlich mit der Zeit des Nationalsozialismus recht gut aus, aber ich hatte den Namen ‚Fritz Kolbe‘ wahrhaftig noch nie gehört“, sagt Andreas Kollender.

Fritz Kolbe – ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes während des Nationalsozialismus. Der immer wieder von Berlin aus in die Schweiz geschickt wird – und der dort nicht nur den deutschen Botschafter mit frischen Informationen aus der heimischen Reichshauptstadt versorgt, sondern der vor allem die dort ebenfalls ansässigen alliierten Geheimdienste mit brisanten Dokumenten ausstattet.

Detaillierte Lagepläne der Wolfsschanze gehören dazu, Details über neue Waffen, an denen die Wehrmacht hektisch arbeitet; Anweisungen, wie man die Vernichtung der europäischen Juden effektivieren solle. Und der nach Kriegsende sofort und mit Macht vergessen wird: ein Vaterlandsverräter, so sehen das nicht nur seine einstigen Kollegen.

„Der Stoff hatte eine so dramatische Grundstruktur, ich habe gleich am nächsten Morgen angefangen zu arbeiten“, sagt der Autor. „Der Wecker schellte um halb sieben, die Kinder gingen aus dem Haus zur Schule – und Zack! ging es an den Schreibtisch. Ich hab mir die Biografie besorgt, es folgte die Recherche, ganz normal, auch über das Internet“, erzählt Kollender. Dann habe er sich zu der historisch verbürgten Geschichte eine romanhafte Dramaturgie zurechtgelegt. Um ein möglichst zu Herzen gehendes Buch zu schreiben.

Besonders das mit dem Herzen klappt. Das ist Kollender wichtig: „Eine der Devisen, die ich mal beschlossen habe: Ein Roman muss auf das menschliche Herz zielen; mehr als auf den Intellekt.“

Bei seinem „Fritz Kolbe“ geht das so: Obwohl man als Leser weiß, dass Kolbe überleben wird, hat man ständig Angst um ihn; fürchtet man Kapitel um Kapitel, dass etwas schiefgeht, dass seine Tarnung auffliegt, wenn er in Basel die Grenze übertritt und seinen Pass vorzeigen muss; die kopierten Dokumente hat er sich eng um seine Waden gewickelt, falls man ihn abklopfen sollte. Und man zittert regelrecht mit, wenn er in Bern Kontakt zu den amerikanischen Verbindungsoffizieren aufnimmt, von denen er nicht weiß, wie sehr sie ihn im Ernstfall schützen würden.

Kurzum: Man hat Angst um den Helden, so wie der Held Angst hat, obwohl man keine Angst um ihn zu haben braucht. „So soll es sein“, sagt Andreas Kollender und lehnt sich entspannt zurück.

Zugleich erdet Kollender die Geschichte des guten Spions Fritz Kolbe mit einer Liebesgeschichte. Eine Frau tritt auf: Marianne. „Ich habe so gar keine Lust, jemals einen längeren Text zu schreiben, in dem mein Held nicht eine tolle Frau liebt“, sagt Kollender.

Dabei berühren sich Fiktion und Faktisches eng: „Kolbe hat ja wirklich während seiner Spionagetätigkeit in der Berliner Charitéeine Frau kennengelernt, die auch später seine Ehefrau geworden ist. So erfunden ist sie also nicht.“ Und: „Ich habe anfangs überlegt, nur die Geschichte eines Mannes zu schrei­ben, der sich entschließt, gegen die Nazis zu spionieren. Der hofft, den Krieg zu überleben, und das war es dann – doch da fehlte mir der Moment des Persönlichen.“

Zugleich bekommt die Verratsgeschichte auf diese Weise eine Art doppelten Boden: Denn Kollenders Marianne ist verheiratet, ihr Mann an der Front. Es wäre nicht gut, würde dieses Verhältnis öffentlich. Zugleich ist es immer wieder Marianne und der Gedanke an eine gemeinsame Zukunft, der Kolbe weitermachen lässt. Kollender sagt: „Vielleicht ist Marianne die eigentliche zentrale Figur.“

Andreas Kollender selbst kam zum Schreiben über das Schreiben. „Mein Vater war KFZ-Meister, also beileibe kein Akademiker“, erzählt er. „Aber meine Eltern haben immer gern gelesen; ich bin in einem Wohnzimmer aufgewachsen, in dem es eine Wand voller Bücher gab.“

Er selbst – als Kind, dann als langsam Heranwachsender – findet Bücher blöd. Liest sie nicht. Er lächelt auf seine zurückhaltende Art: „Aber ich habe geschrieben – wie das zusammenpasst, das ist jetzt was für die Psychologen, keine Ahnung.“

Er bleibt beim Schreiben, kann sich erinnern, dass ab seinem 17. Lebensjahr das Ziel feststeht, Schriftsteller zu werden; allein aus Interesse studiert er nach seinem Zivildienst Philosophie und Germanistik: Hauptsache, es bleibt genug Zeit zum Schreiben. „Ich wollte nie was anderes, glaube ich. So ging das.“ Seit 1995 arbeitet und lebt er als freier Schriftsteller. Sein Credo: „Ich will gute Romane schreiben.“

Sein erster Roman „Teori“ erzählt von den Reisen des Naturforschers und Reiseschriftstellers Georg Forster; sein zweites Buch, „Der Todfeind“, hat den deutsch-amerikanischen Schriftsteller Theo Mannlicher als Helden. Er ist ein Mann, der nicht sterben kann, weil er Angst vor dem Tod hat. „Vor der Wüste“ beruht auf Erlebnissen der hamburgischen Südsee-Expedition von 1908 bis 1910.

Der Spion Fritz Kolbe als Vaterlandsverräter: So sehen das nicht nur seine einstigen Kollegen

Schnell könnte man auf die Idee kommen, Andreas Kollender schreibe schlicht Biografien und hübsche sie literarisch auf. Doch das weist er entschieden zurück: Er schreibe Romane, nur Romane, sagt er. Die Biografie des Theo Mannlicher etwa ist komplett konstruiert. „Wenn ich auf eine Geschichte stoße, dann weiche ich ihr nicht aus, nur weil sie durch eine historisch belegte Figur belegt ist. Wenn ich merke, in ihr ist genau das enthalten, was ich zum Schrei­ben brauche, dann nehme ich die Geschichte an.“

Und Kollender sagt: „Die Bandbreite dessen, was bei mir eine Anfangsinspiration auslösen kann, ist sehr groß, weshalb ich auch ständig irgendwelche Ideen im Kopf habe. Ich habe immer Notizzettel auf dem Schreibtisch liegen über Dinge, die ich vielleicht mal anpacke, später.“

Sein „Fritz Kolbe“ ist ein großer Erfolg geworden. Aktuell läuft die vierte Auflage, gerade wurde die Lizenz für die USA verkauft. Nächstes Jahr wird die Taschenbuchausgabe folgen, und eigentlich müsste auch eine Verfilmung drin sein, so plastisch und spannend, wie Andreas Kollender seinen Fritz Kolbe schildert. „Ich arbeite daran“, sagt er wieder leicht lächelnd. Wobei er selbst die Chancen dafür bei einem Prozent sieht: „Aber das ist ja schon mal was.“

Realistischer ist diesbezüglich ein neues Projekt, dass wiederum einen alten Kern hat: In einer seiner Schubladen liegt noch sein allererster Roman, den damals niemand verlegen wollte. Doch der Stoff hat ihn nie losgelassen. „Er lag in der Schublade und gärte vor sich hin.“ Und nun hat er ihn sich wieder vorgenommen. Sein aktueller Verleger sei sehr interessiert.

Aus verständlichen Gründen will Andreas Kollender über den Stoff und die tragende Figur nicht allzu viel verraten. Nur so viel: Hamburger Persönlichkeit, historisch verbrieft. Und auch hier genügte seinerzeit ein kleiner Impuls, um loszulegen und in Archiven zu wühlen: „Ich fand zufällig eine kurze Notiz darüber, dass jemand Mitte des 19. Jahrhunderts mitten in Hamburg Zwangsjacken verkaufte, und habe mich gefragt: Wer war das? Was war da los? Und wer kauft sowas?“

Derzeit ist er mit Verve dabei, diesen Roman umzuarbeiten. Erst mal drei, vier Personen herauszustreichen, fiel ihm nicht weiter schwer: „Es gibt Passagen, die sind richtig gut, aber drum herum lagert jede Menge Schrott, von dem ich noch nicht weiß, was ich daraus machen soll.“

Aber er ist guten Mutes, dass es was werden wird. Einen Abgabetermin gibt es, als Zielmarke, aber wenn er bis dahin nicht fertig sein sollte, dann ist es eben so. Kein Zeitdruck, kein Stress. Lieber sorgsam nachdenken, nachspüren, und einmal mehr überlegen: „Es gibt zum Beispiel derzeit zwei Varianten des Schlusses, und beide sind gut – glaube ich.“

„Fritz Kolbe“, 446 Seiten, 16, 99 Euro; Pendragon Verlag, Bielefeld