Betr.: Lothar Bisky

Wenn man Lothar Bisky, 64, etwas vorhalten könnte, dann die Tatsache, dass er an der DDR und ihren Träumen bis zum bitteren Ende festgehalten hat. Aber dieser Vorwurf betrachtete die Geschichte Biskys und die seines Landes von ihrem Ende her.

Bisky wurde 1941 in Hinterpommern geboren, nach dem Krieg wurde er mit seinen Eltern nach Brekendorf nahe Schleswig vertrieben. Die Biskys galten als armes Flüchtlingspack. Als der letzte Dreck. Vater Analphabet und Hilfsarbeiter, Mutter Putzfrau. Der kleine Lothar lernte erst das Dorfkino lieben, dann die Literatur, dann den Sozialismus.

Im Jahr 1959 floh er in die DDR, er hoffte auf ein besseres Leben. Studierte Philosophie und Filmwissenschaften und machte akademische Karriere: Am Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung, an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, als Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg.

Wo immer Bisky arbeitete, galt er als überzeugter Genosse – und guter Mensch. Seine Studenten, unter ihnen die späteren Star-Regisseure Andreas Dresen („Halbe Treppe“) und Andreas Kleinert („Wege in die Nacht“), verehren ihn, den unkonventionellen Professor, bis heute. Er hat ihre Filme gegen bornierte Funktionäre verteidigt, er schuf ein Klima, in dem sie sich trauten. „Die Schere ist an dieser Hochschule nicht mehr länger Dozent“, sagte er 1986. Zu solchen Sätzen gehörte in der DDR durchaus Mut.

Nach der Wende geriet Bisky unfreiwillig in die Politik und stieg in der PDS an der Seite seines Freundes Gregor Gysi auf: 1993 wurde er zum Vorsitzenden gewählt. Er war ein lausiger Parteichef, aber ein Harmoniestifter – und ein sanftes Bollwerk gegen alle Ideologen. In der Politik interessieren Bisky, das Arme-Leute-Kind, zuerst die Menschen und ihre Kränkungen. Mit seiner ruhigen, vernünftigen Art hat er sich parteiübergreifend hohen Respekt erworben, nicht nur in seiner Heimat Brandenburg. Bisky wäre auch ein guter Bundestagsvizepräsident. JENS KÖNIG