heute in Bremen
: "Islam zielt auf Staat ab"

vortrag Die Psychologie des Djihadismus erkundet der Ethnologe Felix Riedel im Infoladen

Felix Riedel

:

35, Dr. phil, Ethnologe und Konfliktforscher, lehrt derzeit an der Uni Kassel, forscht u.a. zu moderner Hexenverfolgung.

taz: Herr Riedel, warum fragt ein Ethnologe nach dem Djihad?

Felix Riedel: Weil es im gesamten Trikont, also in Asien, Südamerika und Afrika, djihadistische Bewegungen gibt, es sich dabei also um eine Bewegung handelt, die geopolitisch weitaus beweglicher ist, als ihre Gegner, und es versteht, sich international gut zu vernetzen.

Spräche das nicht für eine politologische Herangehensweise?

Die ethnologische Perspektive kann vielleicht ein feineres Raster anlegen, als die tatsächlich eher an großen Zusammenhängen interessierte Politologie: Ethnologie legt Wert auf regionale Unterschiede.

Ist denn der Djihadismus dann wirklich als Ideologie zu fassen, und nicht eher als Verhaltensmuster?

Ich würde schon von Ideologie sprechen, den es gibt als einheitlichen Bezugspunkt den Koran, aus dem sich die dschihadistischen Strömungen ableiten.

Allerdings scheint der moderne Djihadismus ein Kind des 20. Jahrhunderts, namentlich des Ersten Weltkriegs.

Nein, im Grundbestand geht die Doktrin vom Heiligen Krieg auf islamische Theologie des 9. Jahrhunderts und unmittelbar auch auf die Erfahrungen Mohammeds zurück. Und durch die Jahrhunderte gibt es immer djihadistische Bewegungen, auch noch im 19. Jahrhundert das Sokoto-Kalifat in Nigeria, das erst 1903 zu Ende geht.

Woher kommt denn diese Neigung?

Die Ursache ist, dass der Islam eine politische Religion ist. Er zielt auf einen islamischen Staat ab. Der Koran weckt weltliche Heilserwartungen und billigt militärische Mittel, um sie zu erreichen.

Lässt sich das von anderen Religionen, etwa dem Judentum, nicht auch sagen?

Das Judentum ist, anders als der Islam, eine historische Religion: Seine Überlieferungen entstehen im Laufe von rund 2.000 Jahren. Die Schriften verarbeiten ganz unterschiedliche Erfahrungen, die des militärischen Erfolgs und der Landnahme ebenso wie die der Sklaverei. Im Koran fehlen sie: Der Islam hat keine theologische Erklärung für ein politisches Scheitern.

Und warum blüht der Djihadismus gerade im Moment der Niederlage und der Ohnmacht?

Es gibt ja keine Möglichkeit, dieses Scheitern zu akzeptieren, wenn die Erfahrung materieller Unterlegenheit nicht reflektiert werden kann. Und die ideologische Obdachlosigkeit im Westen wie seine politische Ziellosigkeit wecken realistische Hoffnungen auf einen langfristigen Erfolg.

interview: bes

Die Psychologie des Djihadismus Vortrag & Diskussion: 19.30 Uhr Infoladen, St. Pauli-Str. 10-12