ALS ICH MEINEM VATER ERZÄHLE, DASS ICH BEIM HEIMSCHLACHTEN ZUGESEHEN HABE, FRAGT ER NUR: „WARUM?“
: Sterben und Sterben lassen

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Sie döst mit offenen Augen wie mein Hund, ihre Mundwinkel zucken wie die meiner Tochter. Der Kopf schaut zur Wellblechhütte heraus. Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden: „Tschüß, mein Schätzchen, vielleicht hast du es sowieso besser als hier.“ Dabei hat sie es hier auch ziemlich genossen, die letzten sechs Monate lang, ihre Spuren im Gemüsegarten hinterlassen. Das hatte sich meine Freundin im Internet angelesen: Gutes Fleisch gibt es, und der Garten wird umgegraben und gedüngt.

Noch nie habe ich einen gestählteren Körper gesehen als den des Heimschlachters. Im Pickup kommt er, ein bisschen verspätet, um die Ecke, mit Kratzhaken, Zinkwanne und blutverschmierten Wathosen, und macht sich sofort ans Werk. Das Wasser in den Töpfen kocht, der Traktor kann eine baumelnde Sau halten. Der Heimschlachter, ein tierlieber Mensch, springt mit geladenem Gewehr über den Elektrozaun, die linke Hand erhoben zum Gruß an die zutraulichen Schnauzen. „Wir werden sie bei den Todeskrämpfen besonders festhalten müssen“, sagt er, „die Freilandschweine haben ausgebildetere Muskeln.“

Und dann ist es auch schon so weit. Die Augen der Sau erstarren, färben sich blutunterlaufen rot, so wie wie im Film. Bloß dass hier tatsächlich ein Tier, das arglos auf sein Mittagessen wartete, stattdessen eine Kugel in den Kopf gerammt bekommt, und sein Hirn kommt ihm zum Mund raus, und seine Gefährtin weiß gar nicht, ob das nicht vielleicht ihr Mittagessen ist. Und ich weiß nicht, ob das ihre Art der Trauer ist – lecken Säue Wunden?

Die Augen erstarren, und alles, worauf unsere Welt baut, ist falsch, fressen und gefressen werden: verkehrt. Der Körper zuckt in Todeskrämpfen, drei Männer halten ihn nieder, der Traktor hebt die Sau empor, schnell in den Hals geritzt, „du musst das Blut rühren“, sagt einer, „rühren, rühren, jetzt!“ Zum ersten Mal wird der Schlachter nervös und das helle Purpur, das das gerührte Blut im Topf annimmt, ist die schönste Farbe, die dieser Nachmittag zu bieten hat. Als das Zucken aufgehört hat und die Sau leblos am Traktor hängt, ist aus ihr schon Ding geworden. Aus dem Leib Fleisch.

Und dann: Schaber und Kratzhaken, mit denen die Borsten von den 130 Kilo Fleisch entfernt werden. Die Badewanne mit dem kochenden Wasser. Der Bunsenbrenner. Alles riecht nach verbranntem Haar und brennendem Leib.

„Ich hab heute beim Heimschlachten zugesehen“, erzähle ich meinem Vater abends am Telefon. „Warum?“, fragt er. Ein paar Tage darauf sind wir bei meiner Freundin zum Essen eingeladen. Es gibt Lammbraten. Und Schwein.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.