LeserInnenbriefe
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Juden erkennen Ungerechtigkeiten

betr.: „Mit Grüßen vom Antisemiten“, taz.nord vom 22. 4. 16

Meine Eltern sind als jüdische Flüchtlinge 1940 aus Europa geflohen. Als Berufsmusiker habe ich meine eigene „Yiddische Neshomeh“ (jüdische Seele) durch Forschung und Aufführung von jüdischer Musik aus aller Welt neu entdeckt. Unter meinen Lieblingsliedern sind Lieder aus der Zeit direkt nach der Gründung des Staates Israel; Lieder, in denen Instrumente sowie Melodien aus Palästina mit europäischen Elementen gemischt und mit biblischen Texten neu eingeführt wurden; Lieder über das Ergrünen der Wüste, über das gemeinsame Kommunalleben in einer Welt ohne Hass und Krieg.

Heute erscheint dieses Israel sehr weit entfernt. Eine sieben Meter hohe Mauer zerschneidet das Land und überall kursieren moderne Straßen, auf denen nur Juden fahren dürfen. Das erinnert mich an die Beschreibung meiner Mutter von Banken im Berliner Tiergarten, auf denen stand: „Für Juden nicht geeignet.“ Am schlimmsten ist die pausenlose Bebauung von Siedlungen im Gegensatz zu internationalem Recht, die Stück für Stück sicher machen soll, dass das „Land des jüdischen Volkes“ irgendwann „Araber-rein“ sein wird.

Wenn Widerspruch gegen die israelische Politik aus einem automatisch einen Antisemiten machen würde, dann müssten in den USA sowie weltweit Millionen von „selbst-hassenden Juden“ leben. Während ich schreibe, protestieren Juden in New York, Washington, Boston, Toronto, Chicago und San Francisco gegen der Unterdrückung der Palästinenser.

Das Engagement von Juden in Aktionen für soziale Gerechtigkeit hat eine lange Geschichte; man denke an die Juden, die in der Arbeiterbewegung, der Bürgerrechtsbewegung, der Frauenbewegung sowie den Anti-Kriegs-, Anti-Apartheits-, und Schwul/Lesben- Bewegungen aktiv waren und sind. In diesen Befreiungskämpfen war die Anzahl von jüdische Organisatoren und Aktivisten immer weitaus höher, als wir Juden prozentual in der Bevölkerung vertreten waren und sind. Denn nach jahrhundertelanger Misshandlung und Diskriminierung erkennen Juden Unrecht und Ungerechtigkeit sehr genau! Die Ungerechtigkeiten, die allerdings heutzutage im Heiligen Land passieren, dürfen genauso wenig ignoriert werden. Auch nicht in Deutschland! Kein anderes Land der Welt erinnert sich so häufig an den Schrecken seiner eigenen Vergangenheit. Die alte Schuld eines Landes darf jedoch nicht blind machen für das Unrecht eines anderes Landes. WILLY SCHWARZ, Bremen

Mit Verlaub, ich kann es nicht mehr hören

betr.: „Nicht so gemeint und doch viel gesagt“, taz.nord vom 22. 4. 16

Mit Verlaub, ich kann es nicht mehr hören. Nach dem Elend im 19. und 20 Jahrhundert und der Tötungsindustrie in der Nazizeit brauchen die jüdischen Menschen einen sicheren Staat, das steht bei BDS-Aktivisten überhaupt nicht infrage, aber die Kritik an Israels Politik und deren Missachtung von Völker- und Menschenrecht gegenüber Menschen in den besetzten Gebieten ist für den Frieden und die Sicherheit aller in Israel/Palästina lebenden Menschen notwendig und unsere Pflicht. Wir bestehen doch auch darauf, dass gegen die neue menschenrechtsfeindliche Politik der Türkei, Chinas, Indiens, Ungarns deutlich Stellung bezogen wird. Für Israel gilt das offenbar nicht. Informieren sich Journalisten wie Herr Baeck nicht allseitig? Es gibt inzwischen viele Berichte und Analysen des Nah-Ost-Konfliktes. Herr Baeck nimmt gedankenlos die Staatsräson der deutschen Regierung für seinen einseitigen Kommentar in Anspruch. Ist wohl seine Haltung, und das darf er ja auch in einem Kommentar äußern. Trotzdem verstehe ich nicht, dass jemand noch so eine Haltung in einer kritischen Zeitung vertritt. Es scheint mangelndes Sachwissen zur Situation in Israel mit Siedlungspolitik, illegaler Annexion von Gebieten und Hauszerstörungen vorzuherrschen. Wozu hat die taz eigentlich ein Redaktionsbüro in Jerusalem?

THERESE ZIESENITZ-ALBRECHT, Hamburg