Heikle Bastelarbeit

Anne Weber gibt sich mit „Gold im Mund“ den anstrengenden Wonnen der Alltäglichkeit hin

Noch die nichtigste Nichtigkeit bekommt hier den Anschein einer Kreation

„Worum geht es nun eigentlich in diesem Buch?“, fragt Anne Weber gegen Ende ihres Prosabandes „Gold im Mund“. Weil die Antwort darauf schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, hier zunächst einmal eine kurze Skizze der Schreibsituation. Auf einem doppelseitigen Foto wenige Seiten weiter ist sie reproduziert. Ein Großraumbüro, drei Gestalten starren auf ihre Bildschirme, eine davon die Autorin selbst, mit dem Rücken zum Betrachter, links der Ficus, rechts ein Fenster, dazwischen das typisch eintönig-praktische Büro-Senkrecht-Waagerecht. Fraglich, was es hier zu erleben gibt.

Ebendas aber mag der Reiz gewesen sein, sich der Versuchung dieses gerade in seiner Gewöhnlichkeit exotischen Großraums auszusetzen, so wie sich andere Schreibende einmal inspirieren ließen von der Arbeit eines Totengräbers, Leichenwäschers oder Schlachtgehilfen. Anne Weber sitzt im Büro, lässt andere ihre Texte mit dem Blut des Lebens tränken, lauscht stattdessen auf das trockene Klappern der Tastaturen, auf elektronische Telefonmelodien und hängt inmitten der sie umgebenden „Werktätigkeitsklänge“ ihren Gedanken nach. Ihr schöpferischer Müßiggang provoziert den produktiven Eifer ihrer Kollegen in einem Bieler Dentallabor: Wo sie sich mit Zahngold, Gebissabdrücken und Stiftzähnen gegen Lohn die Zeit vertreiben, staut Weber dieselbe auf und lässt auf ihr die Papierschiffchen ihrer Einfälle kreuzen. Kleine Beobachtungen schickt sie hinaus ins Meer der Assoziationen. Im besten Fall kommen sie wieder zurück als Idee, etwa wenn Weber vorschlägt, das Gummibärchen- und das Zahngeschäft zusammenzulegen, und daran eine Eschatologie des Kapitalismus knüpft: „Am Ende wird es voraussichtlich nur noch zwei mächtige Konzerne geben, einen, der das Monopol des Zerstörens, und einen, der das Monopol des Reparierens hat.“ Wenn dann der Stärkere den Schwächeren schluckt, das wird das Ende des Kapitalismus sein.

Doch die Versenkung ins Detail und das Dahingleiten auf einer geschliffenen Textoberfläche gehen nur schwer zusammen. Die verspielten Kaperboote, ausgerückt gegen die Hoheitsrechte der Arbeitswelt, bekommen zusehends die intellektualistische Schlagseite aphoristischer Seelenverkäufer. So lustig Weber einerseits durch die verschrobenen Wonnen der Alltäglichkeit robertwalsert, so angestrengt schleppt sie andererseits an dem selbst verordneten Zwang, noch der durchtriebensten Nichtigkeit den Anschein einer Kreation zu verleihen.

Häufig ist in geschlossenen Räumen die Welt en miniature noch einmal ganz enthalten. Was sich hier aber aufdrängt, ist nicht die Welt, sondern die Mühsal einer heiklen Bastelarbeit. Man merkt dem Text an, wo er entstanden ist, und ein entbehrungsreicher Achtstundentag tickt lauter in seinem kapriziösen Innern, als es selbstreflexive Immunisierungsstrategien zu übertönen vermögen. Nicht jeder Einwand lässt sich allein dadurch aus der Welt schaffen, dass man ihn vorauseilend selbst erhebt. Man beginnt, ungeduldig zu werden, wenn Weber schon früh die Frage stellt: „Soll das jetzt immer so weitergehen, oder geschieht da noch mal was?“

Es passiert nichts mehr. Bis kurz vor Schluss, als ein früher geschriebener Text, „Liebe Vögel“, beginnt – eine blumige Hasstirade gegen das Leben im Büro, das kein Leben ist, sondern der sichere Tod. Weber hätte es dabei bewenden lassen sollen. Stattdessen ist sie zurückgekehrt in die Regionen der Verdammnis und hat versucht, das Stroh des denkbar prosaischsten Alltags in die goldene Textur ihrer Prosa umzuspinnen. Ihr Gedankenrädchen schnurrt dabei so pedantisch wie das nüchterne Gerät der Zahnwerker, über die sie sich auslässt. Schwer zu sagen, wessen Arbeitsstunde hier nun mehr Gold im Munde hat.

STEFAN KISTER

Anne Weber: „Gold im Mund“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, 127 Seiten, 14,80 €