Österreich

Der grüne Professor Alexander Van der Bellen ist Bundespräsident. Der Tag danach in Österreich – und eine deutsche Perspektive

Im Land der tiefen Gräben

Sieger Van der Bellen streckt die Hand in Richtung der Verlierer aus. Doch vor allem im Netz hetzen FPÖ-Fans gegen ihn

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen während einer Medienansprache am Dienstag Foto: Leonhard Foeger/reuters

Aus Wien Ralf Leonhard

Menschentrauben warteten vor dem Palais Schönburg in Wien, wo Alexander Van der Bellen am Montagabend sein erstes Pressestatement abgab. Im dunklen Anzug, schon ganz Staatsoberhaupt, trat er vor der rot-weiß-roten Nationalflagge und der EU-Fahne hinter das auf der Wiese aufgestellte Pult. Kaum eine Stunde nach der Verkündung seines extrem knappen Wahlsiegs vermied Van der Bellen jeden Triumphalismus und streckte die Hand in Richtung Verlierer aus: „Es sind zwei Hälften, die Österreich aus­machen. Die eine ist so wichtig wie die andere.“ Als neue Spaltung will er das aber nicht deuten: „Die Gräben haben schon länger bestanden. Vielleicht haben wir nicht genau hingeschaut.“

Die ausgestreckte Hand wird aber nicht von allen angenommen: Es kursieren wilde Verschwörungstheorien über Wahlschiebung. „Jeder, der noch halbwegs Österreicher ist, soll zeigen, dass wir uns wehren“, schreibt ein verbitterter Hofer-Fan auf der Facebookseite von FPÖ-Chef Heinz Christian Strache. Einer rief unter Klarnamen sogar zu Anschlägen auf die Wohnung Van der Bellens auf. „Ab jetzt heißt es kämpfen“, fordert ein weiterer. Ein Manifest mit dem Titel „Ich erkenne Van der Bellen als meinen Präsidenten nicht an“ wurde am Dienstag von mehr als 20.000 Wut­wäh­lern online unterschrieben. Im Innenministerium wurde ein Sicherheitskonzept ausgebrü­tet, das über den normalen Personenschutz für einen gewählten Präsidenten hinaus­geht.

Strache rief auf Facebook zu Besonnenheit auf. Fans wie politische Gegner hätten rund um die Präsidentenwahl „völlig unangemessen reagiert und Kommentare hinterlassen, die mit dem Respekt gegenüber der Demokratie und auch gegenüber den Kandidaten und ihren Wählern völlig unvereinbar sind“. Strache, der sonst nicht zimperlich in der Wortwahl ist, forderte eine „Abrüstung der Worte“. Manche Einträge seien so aggressiv gewesen, dass er sie gelöscht habe.

Vor dem Bundesparteivorstand, der Dienstagvormittag im Parlament zusammentrat, verkündete Wahlkampfleiter Herbert Kickl, man freue sich über „den erfolgreichsten Wahlkampf, den die FPÖ je geführt hat“. Der unterlegene Kandidat Norbert Hofer sagte, er sei damit beschäftigt, „alle möglichen Leute zu trösten“. Über eine mögliche Anfechtung der Wahl wollte er sich nicht äußern: „Natürlich gibt es einige Hinweise, die man seriös prüfen wird.“ Er wolle aber nicht, dass der Eindruck entstehe, die FPÖ wäre ein schlechter Verlierer. Im Übrigen habe er Van der Bellen bereits zum Wahlsieg gratuliert.

Einer rief zu Anschlägen auf Van der Bellens Wohnung auf. Nun gibt es ein umfassenderes ­Sicherheitskonzept

Ein Aufatmen, das nach dem packenden Auszählungsfinale durch die Hälfte der Nation gegangen war, konnte man besonders deutlich bei den Kunstschaffenden vernehmen. Viennale-Direktor Hans Hurch sagte: „Alles andere hätte man sich am liebsten gar nicht vorstellen wollen.“ Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Graphiksammlung Albertina, will nicht wieder bei Verhandlungen im Ausland „permanent unter Rechtfertigungsdruck“ stehen. Und Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste, klagte in Richtung all jener, die gelobten, die Sorgen der frustrierten Hofer-Wähler ernst nehmen zu wollen: „Meine Ängste wenn es darum geht, dass ausländerfeindliche Aktionen stattfinden, hätte ich auch gern ernst genommen“.

Die Regierung will jedenfalls bald etwas vorlegen. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) traten bereits im Paarlauf vor die Presse und verkündeten, sie hätten sich für die kommenden Monate fünf Projektfelder vorgenommen – nämlich Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Innovation und Forschung, Entbürokratisierung, die Bildungsreform sowie Asyl, Integration und Sicherheit. Dabei wollen sie sich aber nicht an den Parolen der FPÖ orientieren. „Wenn man die Rezepte aufgreifen würde, die hier angeboten wurden“, sagte Kanzler Kern, „würde man unser Land nicht auf den Pannenstreifen führen, sondern direkt zum Shredder“.

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