HANNA UND IHREM MANN, DEM EX-UNTERNEHMENSBERATER, GELINGT IRGENDWIE ALLES. DAGEGEN KÖNNEN UNSERE ZIEGEN VOR GESTRENGEN SYRISCHEN AUGEN NICHT BESTEHEN
: Das Ding am Auge der Moschusente

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Frisch wie der junge Morgen standen Refat und Kaled neulich vor unserer Haustür: Sie hatten schulfrei und Kaled seit neuestem ein Auto. „Ich habe jetzt keine Lust, Gäste zu bewirten“, murrte mein Mann. „Wir zeigen euch die Ziegen und besuchen dann meine Freundin Hanna mit den ganzen Tieren“, suchte ich auszugleichen.

Unsere Ziegen bestanden den Test nicht: „Viel zu dünn“, bestätigte Refat meinen Verdacht. „Bei uns zu Hause gehen sie frei in die Olivenplantagen“, fügte Kaled hinzu. „Und was ist mit den Oliven?“ – „Die untersten Zweige haben alle eine gewisse Höhe“, sagte Kaled und zeigte mit der Hand, wie hoch sich eine Ziege zum Fressen strecken kann.

Hannas Ziegen bestanden den Test schon eher: „So muss eine Ziege aussehen“, sagte Refat, und ich schämte mich unserer – zudem charakterschwachen – Ziegen ein wenig. „Was hat deine Ente denn am Auge?“, fragte Refat Hanna, deren Bauernhof-Idylle sich einzig Hannas furchtlosem Amateurwesen verdankt: Fröhlich teilen sich Enten, Ziegen, Schafe, ein Rind und 45 Hühner ein bisschen Land, auch mal den Küchengarten, oft mal den Komposthaufen. Alles, was Hanna und ihr Mann über Tiere wissen, stammt aus dem Internet. Umso tatkräftiger packt der ehemalige Unternehmensberater aus Kopenhagen bei Traktoren und Misthaufen an. Hanna und ihrem Mann gelingt immer alles, inklusive zufriedener Tiere.

Bis auf das Ding am Auge der Moschusente. „Nimm Olivenöl“, sagt Refat. „Zweimal am Tag Olivenöl in die Nahrung. Da müsste das von alleine weggehen.“ Olivenöl ist Refats Lösung für alles. Hannas Ziegen waren immer nur scheinschwanger oder gebaren ausschließlich verkrüppelte Föten? „Olivenöl“, sagt Refat. „Haben wahrscheinlich Plastik gefressen. Das räumt den Magen auf.“

Refat hatte in Syrien selbst eine Olivenplantage, das sollte man vielleicht erwähnen, und 100 Ziertauben. Was Daesh mit denen macht, wüsste ich gern. Gestern war ich ihn besuchen. Ich hatte ihn seit dem Morgen nur kurz gesehen, seine Frau auch nur kurz mal: Tee trinken, Kekse essen – und schnell die Flucht ergreifen, wenn Fatma die neue Gesetzgebung erwähnte. Der zufolge müssen Flüchtlinge nun alle sechs Monate einen Monat bezahlter Arbeit vorweisen, um ihre Bezüge überhaupt zu bekommen.

Was könnte ich dazu sagen? Was daran ändern? Wo soll ich Arbeit finden für jemand, dessen bestes Übersetzungstool auch nach acht Monaten im neuen Land immer noch die zehnjährige Tochter ist? Also verdufte ich jedes Mal ziemlich schnell wieder – um mich gestern wirklich zu wundern: Refat hatte sich ein Paar weißer Tauben besorgt, aus Syrien! Und den Hintergarten in ein provisorisches Hühnergehege verwandelt, mit mehr als 20 Hühnern. Wo er die wohl her hat? Unsere eigenen wurden neulich von Hunden gerissen, und um diese Jahreszeit erwachsene Hühner zu besorgen, ist quasi unmöglich. „Refat, ich brauch Hühner“, sagte ich. „Wie viele?“

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.