Kritik der Woche
: Geschichte einer Großmutter: Birgit Rabischs Buch „Die Schwarze Rosa“

Die schlimmste Demütigung, die der Versailler Vertrag dem selbsternannten deutschen Herrenvolk nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg zumutete, war die Verkleinerung seiner Armee. Denn mit 100.000 Mann konnte man nicht gleichzeitig die ehemaligen Ostgebiete terrorisieren, landauf landab Bolschewisten jagen und auch noch die Grenze zu Frankreich bewachen.

Um den personellen Engpass zu beseitigen, beschloss die offizielle Reichswehr illegale, paramilitärische Verbände zu unterstützen, deren Mitglieder durch einen missglückten Staatsstreich und mehrere Fememorde für Schlagzeilen sorgten, bevor sie im nationalsozialistischen Deutschland eine neue politische Heimat fanden.

Die Hamburger Autorin Birgit Rabisch hat die Geschichte dieser Armee aus einer neuen Perspektive geschrieben. Als ihre Großmutter 1975 starb, fand sie heraus, dass diese Anfang der 20er Jahre mit Paul Schulz, dem Cheforganisator der „Schwarzen Reichswehr“ und mutmaßlichen Drahtzieher mehrerer Fememorde, verlobt war. Als „Schwarze Rosa“ unterstützte die junge Verlobte die „Schwarze Reichwehr“ bei organisatorischen Aufgaben, während ihr Bruder Erich Klapproth die „Todesurteile“ vollstreckte.

In jahrelanger Kleinarbeit versuchte Rabisch den Weg der Familienmitglieder nachzuvollziehen, der sie von ihrem kleinbürgerlichen Ausgangspunkt im späten 19. Jahrhundert ins rechtsradikale Spektrum geführt und schließlich zu strammen Nationalsozialisten hatte werden lassen. Das Buch demonstriert eindrucksvoll, wie aus persönlichen Existenzängsten und latenter Fremdenfeindlichkeit im Laufe der Jahre Aggression, Antisemitismus, Gewaltbereitschaft und Mordlust entstehen konnten.

Bedenklich allerdings erscheint die methodische Vorgehensweise, die Birgit Rabisch als „Faction, eine Melange aus Daten und Fiktionen“ beschreibt. Sie schildert die Geschichte der Großmutter chronologisch, führt jedoch frei erfundene Figuren ein – Fiktion und Fakten lassen sich erst anhand des Anhangs wieder auseinander dividieren. Damit verliert das Buch einen Teil seines dokumentarischen Charakters, ohne erhellend Atmosphärisches hinzuzugewinnen. Gleichwohl hat Rabisch ein wichtiges Kapitel in der Vorgeschichte des Nationalsozialismus beschrieben – aus unbekannten und interessanten Blickwinkeln. Thorsten Stegemann

Birgit Rabisch: Die Schwarze Rosa. Eine Frau in der Weimarer Republik. Zu Klampen-Verlag, 19,80 Euro