„Wenn’s in Mitte passiert, interessiert’s keinen“

Das bleibt von der Woche Die Opposition setzt auf einen unabhängigen Polizeibeauftragten, die linke Szene entdeckt das Stadtschloss und damit auch Mitte, die rot-schwarze Koalition beschließt eine neue Bauordnung, und die Armenien-Resolution sorgt für die Absage eines Fastenbrechens

Weit mehr als ein Schaukampf

PolizeibeaufTragter

Den Versuch, den Korpsgeist der Polizisten aufzu­brechen, ist es wert

Die Oppositionsparteien fordern einen unabhängigen Polizeibeauftragten für Berlin. Am Donnerstag haben sie den entsprechenden Gesetzentwurf im Parlament eingebracht. Der Antrag hat keine Chance, in dieser Legislaturperiode noch realisiert zu werden. Trotzdem wäre es ein Fehler, die Aktion als politischen Schaukampf abzutun.

Der oder die unabhängige Polizeibeauftragte wird kommen, wenn es nach der Wahl im Herbst eine Regierung ohne CDU-Beteiligung gibt. Denn: Auch die SPD ist dafür. Nur wegen der CDU hält sie noch still. An die Beschwerdestelle sollen sich sowohl Bürger wenden können, die Opfer von Polizeiwillkür geworden sind, als auch Polizisten, die dienstliche Probleme haben oder auf Missstände in der Behörde aufmerksam machen wollen.

In westeuropäischen Ländern und den USA ist das längst Standard. In Deutschland hat einzig Rheinland-Pfalz seit 2014 eine solche Instanz.

Grüne, Linke und Piraten verstehen das Vorhaben ausdrücklich als vertrauensbildende Maßnahme. Ein mit Ermittlungsbefugnissen ausgestatteter Polizeibeauftragter könne helfen, Polizeiübergriffe aufzuklären, lautet eine der Hoffnungen. Sie speist sich aus der Erfahrung, dass Körperverletzungen im Amt in der Regel ungesühnt bleiben. Im Zweifel schlagen sich die Ermittlungsbehörden auf die Seite der beschuldigten Polizisten und stellen das Verfahren ein. Selbst wenn es zum Prozess kommt, endet der oft mit Freispruch. Wenn Kollegen des angeklagten Polizisten im Zeugenstand mauern, stoßen die Gerichte an ihre Grenzen. Ob ein unabhängiger Polizeibeauftragter den Korpsgeist aufzubrechen vermag, scheint fraglich. Den Versuch ist es aber allemal wert.

Zu tun gäbe es für einen Polizeibeauftragten auch unabhängig davon genug. Das zeigt der Anstieg der Beschwerden in Rheinland-Pfalz: von Bürgern und auch immer mehr Polizisten. Zur Berliner CDU fällt einem so nichts mehr ein. Die Forderung der Opposition sei ein Schlag ins Gesicht aller Polizeikräfte, erklärte deren Generalsekretär am Mittwoch.

Plutonia Plarre

Ein Anfang aus der Mitte heraus

Aktivisten am Schloss

Wohnen, klar, wird eines der bestimmenden Themen des Wahlkampfs sein

Man könnte daraus fast eine Regel Berliner Bewegungen ­ableiten: Ob Naziaufmarsch oder Bauprojekt – wenn’s in Mitte passiert, interessiert’s ­keinen. Während jede Drei­mann­kundgebung der NPD, jeder sanierte Balkon in Kreuzberg oder Friedrichshain von lautem Getöse begleitet wird, schweigt sich die antifaschistische oder stadtpolitische Szene zu regelmäßigen Naziaufmärschen oder millionenteuren Bauprojekten ausgerechnet im Stadtzentrum gerne aus.

Insofern war es aus bewegungspolitischer Sicht höchste Zeit für die Aktionen am Mittwoch dieser Woche, als AktivistInnen mit einer Kundgebung vor dem Stadtschloss gleichzeitig gegen den 590 Millionen Euro teuren Bau, gegen den dort stattfindenden Tag der deutschen Immobilienwirtschaft und für mehr günstigen Wohnraum protestierten.

Einerseits kommen die AktivistInnen damit natürlich zu spät. Das Richtfest für den Schlosswiederaufbau wurde bereits vergangenes Jahr gefeiert; dass das Gebäude nicht mehr zu verhindern ist, dürfte jedem klar sein, der den monumental an der Spree thronenden Rohbau schon einmal gesehen hat. Andererseits kommen die Ak­tio­nen auch genau richtig: Denn das Wohnen, das ist klar, wird eines der bestimmenden Themen des jetzt beginnenden Wahlkampfs sein.

So ergeben sich Chancen, aber auch Fallstricke für die außerparlamentarische Linke in Berlin. Der Mietenvolksentscheid wurde nach einer Einigung mit dem Senat beendet – ein Erfolg für die MieterInnen, aber gleichzeitig auch der Verlust eines wichtigen Mittels gegen die Wohnungspolitik der Koalition.

Gleichzeitig überbieten sich die Oppositionsparteien ihrerseits mit Forderungen nach günstigem Wohnraum. „Wir bleiben alle“, twitterte der Landeschef der Linkspartei, Klaus Lederer, am Mittwochabend über die Aktion vor dem Stadtschloss – ein schönes Beispiel dafür, wie sich Parteien außerparlamentarische Parolen zu eigen machen, wenn das erfolgversprechend scheint.

Die Lehre aus dem Mietenvolksentscheid ist: Auf keinem Feld können außerparlamentarische Initiativen so viel Druck aufbauen wie in der Wohnungspolitik. Ob sie das im Wahlkampf auch nutzen werden, wird sich zeigen – die Aktionen in dieser Woche waren dafür ein kleiner Anfang. Malene Gürgen

Unrecht zu Gesetz betoniert

Neue Bauordnung

Die Behinderten bekommen am Ende schon ein bisschen was ab

Sie haben es tatsächlich durchgezogen: Am Donnerstag hat die rot-schwarze Mehrheit die neue Bauordnung trotz massiver Kritik durchs Parlament gepeitscht. In Sachen Barrierefreiheit werden damit nicht nur kaum Fortschritte, sondern zum Teil massive Rückschritte zu einem Gesetz betoniert. Was erst einmal nach einer Niederlage für Behindertenvertreter klingt, ist in Wahrheit dies: ein Armutszeugnis für unser Rechtsverständnis.

Der mit anderen gleichberechtigte Zugang zu Arbeits- und Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung ist ein Menschenrecht. Das ergibt sich schon aus dem Grundgesetz. Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich die Bundesregierung 2009 noch einmal in aller Deutlichkeit zur Umsetzung dieses Rechtes in der Bundes- und Landesgesetzgebung verpflichtet. Bei der Neufassung der Berliner Bauordnung wäre das also eine klare Leitlinie gewesen. Doch genau hier bleibt die Verpflichtung ein Tiger, dem die Zähne vom Unwissen lokaler Politiker, vom Kuschen vor geldmächtigen Interessengruppen und von der anhaltenden Tabuisierung von Behinderung und Alter gezogen wurden. Die Behinderten bekommen am Ende schon ein bisschen was ab, genau wie die Immobilienwirtschaft und andere Interessengruppen – je nach Verhandlungsmacht. Ignoriert wird dabei, dass es bei Barrierefreiheit eben nicht um die Befriedigung von Partikularinteressen, sondern um die Umsetzung verfassungsmäßig garantierter Grundrechte geht. Die sind auch dann nicht verhandelbar, wenn das Bauen dadurch deutlich teurer würde (was aussagekräftigen Studien zufolge nicht der Fall ist) oder nur eine kleine Gruppe von Barrierefreiheit profitieren sollte (was auch nicht stimmt, weil nahezu jeder Mensch im Alter von Behinderung betroffen sein wird).

Mit einer Bauordnung, laut der neu gebaute öffentliche Gebäude und Wohnungen nicht grundsätzlich barrierefrei nutzbar sein müssen, wird nun also folgenreich ignoriert, wozu sich Deutschland in der UN-Behindertenrechtskonvention, in der Verfassung und in Gleichstellungsgesetzen verpflichtet hat. Dass Politiker damit durchkommen und so wenige dies infrage stellen, ist eben genau: ein Armutszeugnis für unser aller Rechtsverständnis.

Manuela Heim

Eben nicht nur innertürkisch

Abgesagtes Fastenbrechen

Nicht mal der religiöse Auftrag, sich im Ramadan zu versöhnen, zeigt Wirkung

Die Ar­me­ni­en-Re­so­lu­ti­on des Bun­des­tags wirkt nach. Auch in Ber­lin. Das zeig­te am Donnerstag die Ab­sa­ge eines Fas­ten­bre­chens, das in der Neu­köll­ner Şehitlik-Mo­schee statt­fin­den soll­te. Dazu waren Bun­des­tags­prä­si­dent Nor­bert Lam­mert und die bei­den tür­kisch­stäm­mi­gen Ab­ge­ord­ne­ten Özcan Mutlu und Azize Tank ge­la­den. Nach­dem tür­ki­sche Na­ti­on­lis­tIn­nen gegen die drei hetz­ten, weil sie für den Beschluss ge­stimmt (Lam­mert und Tank) oder sich ent­hal­ten (Mutlu) hat­ten, sagte die Mo­schee das Essen ab. Mit der Resolution erkennt der Bundestag die Ermordung von ArmenierInnen im Osmanischen Reich als Völkermord an.

„In­ner­tür­ki­sche An­ge­le­gen­hei­ten“, spe­ku­lier­te der Grüne Mutlu über die Grün­de der Ab­sa­ge. Dabei trifft das At­tri­but „in­ner­tür­kisch“ nicht ganz den Kern dieser An­ge­le­gen­heit in einer Stadt mit mehr als 200.000 tür­kisch­stäm­mi­gen Be­woh­ne­rIn­nen. Vielmehr zeigt der Vor­gang, dass es hier um die hie­si­ge Ge­sell­schaft geht. Und darum, wie Konflikten in dieser Gesellschaft begegnet wird – von und mit Men­schen, die mit einem so­ge­nann­ten Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund in Deutsch­land leben.

Das gilt es zu betonen, weil der Fall ei­ner­seits zeigt, was In­te­gra­ti­on in Deutsch­land be­deu­tet hat: eher eine tendenzielle Iso­la­ti­on der „zu In­te­grie­ren­den“ und eine auf­recht­er­hal­te­ne Loya­li­tät zum Her­kunfts­land. Die po­li­ti­sche Iden­ti­tät wurde dabei viel­fach vom Her­kunfts­land be­ein­flusst, alte Kon­flik­te wur­den mit­ge­nom­men und wei­terhin ge­lebt.

An­de­rer­seits illustriert er, welche Wucht diese Konflikte – hier der Streitpunkt Genozid an den ArmenierInnen – auch in Deutschland haben: Ein Essen mit symbolischer Bedeutung und Politprominenz wird abgesagt. Nicht einmal der religiöse Auftrag, sich im Ramadan zu versöhnen, zeigt mediatorische Wirkung.

Kann man angesichts dessen von Stellvertreterkriegen innerhalb der migrantischen Community in Deutschland sprechen? Nein. Diese Konflikte – sei es die Armenien-Resolution oder die sogenannte Kurdenfrage – sind Konflikte in der hiesigen Gesellschaft. Und diese Gesellschaft muss sie als Teil ihrer selbst verstehen, sich ihnen stellen und sie aushalten.

Wenn das nicht geschieht, dann droht wei­te­re Abschottung, aber auch all­ge­mei­ne ge­sell­schaft­li­che Po­la­ri­sie­rung in Deutsch­land. Am Donnerstag sprach auch der tür­ki­sche Prä­si­dent Er­do­ğan über die po­li­ti­sche Be­deu­tung von „drei Mil­lio­nen Tür­ken“, die in Deutsch­land leben. Mit dem Hash­tag #Wir­grün­den­ei­ne­Par­tei wer­ben seine An­hän­ger be­reits für eine ei­ge­ne Par­tei in Deutsch­land. Volkan Agar