Schwächung auf Raten

Das Präsidium des FC St. Pauli versucht in der aufgekommenen Trainerfrage um Andreas Bergmann Fingerspitzengefühl wie noch nie zu zeigen und an diesem Anspruch nicht zu scheitern

von OKE GÖTTLICH

Es waren mehr als nur Gerüchte, die in den zwei spielfreien Wochen beim FC St. Pauli kursierten. Im Falle einer (nun auch eingetretenen) Niederlage gegen Kiel wäre Trainer Andreas Bergmann längstens selbiger geblieben – zumindest beim Kiezclub. Spieler, Mitarbeiter und Journalisten sprachen verstärkt in den letzten 48 Stunden vor dem Kiel-Spiel über den Fall der Fälle. Wer könnte kommen? Kann sich der Verein einen Wechsel überhaupt leisten? Doch mit der Niederlage gegen Kiel (s. nebenstehenden Text) verfällt der FC St. Pauli bisher nicht in althergebrachte, hektische Verhaltensmuster. Grundsätzlich interessiere ihn das Thema wenig, sagt Corny Littmann, denn es gäbe eine klare Meinung innerhalb des Präsidiums: „So es denn vollständig vertreten war, gab es zu keinem Zeitpunkt eine Diskussion über den Trainer Andreas Bergmann – von niemandem.“

Doch bereits nach dem ersten verlorenen Heimspiel gegen Jena (1:2) wurden erste kritische Töne innerhalb des Präsidiums laut, dass sich die Mannschaft unter Trainer Andreas Bergmann nicht weiterentwickelt hätte, vergessend, dass dieser Trainer nicht nur die zweite DFB-Pokalrunde erreicht hat, sondern zu diesem Zeitpunkt auf dem vierten Tabellenplatz rangierte.

Es sind also zahlreiche Gründe die dagegen sprechen, dass Vizepräsident Marcus Schulz schon in intensiveren Kontakten zu Trainerkandidaten stehen soll. „Es wäre doch fahrlässig, sich überhaupt keine Gedanken zu machen“, erklärt Holger Stanislawski, ebenfalls Vizepräsident und der Mann fürs Sportliche beim FC St. Pauli berechtigterweise. Obwohl es ebenso fahrlässig wäre, eine schnelle Lösung zu fordern, die den Verein durch einen Trainerwechsel Geld kostet, welches er nicht hat. So schätzt Stanislawski die Situation nach der Niederlage so ein, dass nach einer gestrigen Analyse am heutigen Tag eine Diagnose stattfinde. Dazu werden Gespräche mit den Trainern und dem Präsidium geführt. Es gebe allerdings „keinen Grund warum Andreas Bergmann gegen Osnabrück nicht auf der Bank sitzen sollte. Es gibt keine Trainerdiskussion.“

Nach den amateurhaften Fehlern in Kiel wolle er zunächst die Mannschaft in die Pflicht nehmen. So fiel Stanislawskis Analyse auch übereinstimmend mit der von Bergmann aus: „Ich kann doch einem Trainer nichts vorwerfen, der sein Team vor dem Spiel eindringlich vor den gefährlichen Standards des Gegners warnt und dann nach drei Standardtoren mit 1:4 verliert.“ Ein Team, dass teilweise bereits vor dem Kiel-Spiel über die Tatsache unterrichtet gewesen ist, „dass im Falle einer Niederlage etwas passieren wird.“

Es scheint, als wussten Spieler und einige Angestellte mehr als ein Großteil der Verantwortungsträger: „Eine Diskussion über den Trainer hat zu keiner Zeit in keiner offiziellen Präsidiums- oder Aufsichtsratsitzung stattgefunden“, erklärt der Aufsichtsratsvorsitzende Michael Burmester, der sich nicht erklären kann, woher die Spekulationen und Gerüchte gekommen sein könnten. Holger Stanislawski erklärt sie sich unter anderem auch durch viele Einzelgespräche mit Spielern, die durchaus mal ihr Leid über den Trainer klagten.

Ein Vorgang, der in allen Vereinen täglich zu beobachten ist, wenn man denn hinhören mag. Stanislawski hörte hin und hat einigen Spielern vielleicht zu sehr das Gefühl gegeben, sich um ihre Kritik und Probleme zu kümmern. Denn vielen fehlt vielleicht auch die professionelle Bereitschaft für ihren Beruf als Fußballer, weshalb die Trainingszeiten nun verlängert werden. Spekulationen um die Zukunft Stanislawskis, der als Praktikant beim Verein arbeitet, nebenbei ehrenamtlicher Vizepräsident ist und von der Berufsgenossenschaft (BG) eine Umschulung zum Sportfachwirt finanziert bekommt, dass er das Traineramt übernehmen wolle, hält Präsident Littmann für abwegig: „Warum sollte sich Holger Stanislawski auf einen wackeligen Trainerstuhl setzen, wenn er gerade von der BG finanziert wird, um sich zum Manager ausbilden zu lassen?“