„Die Deutschen sind ein Kulturvolk“

Dokumente der Vernichtung 7 „Unternehmen Barbarossa“ – im Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Die taz dokumen­tiert Tagebuch­aufzeichnun­gen von Zeitzeugen

Die 15-jährige Russin Zoja ­Chabarova beschreibt im Dezember 1941, wie ihr Vater in Jalta vergeblich versucht, Juden zur Flucht in die Wälder zu überreden. Tagebuch vom 12. und 19. 2. 1941:

12. Dezember. Sie haben einen Befehl ausgehängt: „Alle Juden müssen innerhalb von drei Tagen mit ihren Sachen bei der Gestapo erscheinen.“ Die Juden haben sich mühsam dahin geschleppt. Sie tragen Betten, Matratzen, Teppiche, Koffer. Papa hat einen Bekannten getroffen, einen Arzt. Er sagt ihm: „Lauf in den Wald.“ Aber der antwortet: „Sie schicken uns nach Palästina.“ Papa sagt ihm, dass überall, wo die Deutschen sind, schon längst alle Juden erschossen worden sind. Aber er beharrt auf seiner Meinung: „Die Deutschen sind ein Kulturvolk, sie werden uns nicht täuschen; die Bolschewiken lügen doch alle nur.“ Vater hat ihn gebeten, doch wenigstens seine Tochter bei uns zu lassen. Aber er will nicht.

19. Dezember 1941. Gestern war in Massandra den ganzen Tag Gewehrfeuer zu hören. Sie haben die Juden erschossen. Die Leute sagen, den kleinen Kindern seien die Lippen mit Gift eingerieben worden, und sie seien sofort gestorben. Baksi haben sie auch umgebracht. Geschossen hat unser eigener Abschaum, sie wurden von zwei Deutschen befehligt. Bei Mama im Sanatorium hat irgend so ein Idiot als Gärtner gearbeitet. Als die Deutschen kamen, hat er sich der Gestapo angedient. Dann ist er in den Straßen herumgelaufen und hat allen gedroht. Genau solche Scheusale schlachten auch die eigenen Leute ab. Na ja, sie werden für alles büßen müssen.

Aus: „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Band 7: Sowjetunion mit annektierten Gebieten“. Dokument 131. Oldenbourg Verlag, München 2011