Reif für die Insel

PREKARIAT Jazzmusiker verdienen laut einer Hildesheimer Studie monatlich nur 1.000 Euro im Schnitt. Das Jazzfestival Föhr lockt Bands deswegen auch mit kostenlosen Urlaubstagen

Teures Hobby, ein nicht besonders einträglicher Beruf: Den Jazzmusikern in Deutschland geht es schlecht Foto: Tobias Hasre

Von Joachim Göres

Rund 90 Prozent haben studiert. 74 Prozent leben ausschließlich von Musik. Die meisten unterrichten nebenbei. So steht es in der gerade vorgelegten Jazzstudie 2016, die der Kulturwissenschaftler Thomas Renz von der Uni Hildesheim durchgeführt hat. Er hat die Antworten von rund 2.000 in Deutschland lebenden Jazzmusikern zu ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgewertet. 72 Prozent sind mit ihrer wirtschaftlichen Situation nicht zufrieden. Das erstaunt nicht, wenn man sich die Zahlen ansieht.

Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei 12.500 Euro. In Berlin und Köln, wo die meisten Jazzmusiker leben und wo es die meisten der bundesweit rund 700 Jazz-Spielstätten gibt, bekamen 43 Prozent der Befragten bei ihren letzten Auftritten jeweils keine 50 Euro.

Nicht viel besser sieht es in Hamburg aus: Hier liegt der Anteil der Gagen bis 50 Euro bei 32 Prozent, jeder Vierte erhielt zwischen 51 und 100 Euro. Die Absage von Festivals wie Elbjazz Hamburg in diesem Jahr wirkt sich finanziell negativ aus.

84 Prozent veröffentlichen aus künstlerischen Gründen Alben zum Beispiel in Form von CDs, obwohl die Mehrheit damit kein Geld verdienen kann und oft noch draufzahlt. Den musikalischen Erfolg lasen sich die Musiker jedes Jahr im Schnitt knapp 5.000 Euro etwa für Ausrüstung kosten.

Der Unterricht von Schülern in staatlichen oder privaten Musikschulen stellt für eine Mehrheit die einzige verlässliche Einnahmequelle dar. Die Verdienstsituation für die Honorarkräfte – 98 Prozent aller Jazzmusiker sind selbstständig – wird allerdings immer schlechter. Pro Stunde verdienen sie in der Regel zwischen 20 und 30 Euro. 60 Prozent haben keine Kinder – vor allem, weil sie sich keine Familiengründung leisten können.

Die Bereitschaft, sich gemeinsam für Verbesserungen einzusetzen, ist nicht sehr ausgeprägt: Nur fünf Prozent aller Befragten gehören einer Gewerkschaft an. „Jazzmusiker sind einfach keine besonderen Netzwerker – ich nehme mich da gar nicht aus“, sagt ein 50-jähriger Pianist. Es sei einfach ein Konkurrenzkampf. „Jeder hat so seine Zirkel mit Musikern, mit denen er immer wieder zusammenspielt. Aber die Zirkel arbeiten auch gegeneinander.“

Immerhin bestehen bei den Gagen zwischen den Geschlechtern – es antworteten 80 Prozent Männer und 20 Prozent Frauen – keine Unterschiede: Sie verdienen beide gleich schlecht.

Die Auftraggeber der Studie – das Jazzinstitut Darmstadt, die Union Deutscher Jazzmusiker und die IG Jazz Berlin – haben kürzlich auf dem Festival Jazzahead in Bremen über die Ergebnisse diskutiert. Einige ihrer Forderungen: Eine bessere Ausbildung an den Hochschulen beim Thema Selbstvermarktung – 18 Musikhochschulen in Deutschland unterrichten Jazz in eigenen Studiengängen. Ein Mindesteinkommen soll die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse für Honorarkräfte an Musikschulen senken. Spielstätten für professionelle Jazzer sollen stärker finanziell gefördert werden. Dafür sollten sie sich dann verpflichten, angemessene Gagen zu bezahlen.

Und die Altersvorsorge soll verbessert werden, damit den Musikern künftig nicht eine besonders drastische Form von Altersarmut droht. In der Studie gaben 28 Prozent an, dass sie im Alter weder eine Rente erwarten noch irgendwie anders finanziell abgesichert sind. 65 Prozent beurteilen ihre Altersvorsorge als schlecht.

Unter diesen Bedingungen freuen sich viele Musiker, wenn sie zu einem Festival in einer schönen Gegend eingeladen werden, wo sie günstig ein paar Urlaubstage verbringen können. „Wir bekommen Anfragen bis aus den USA und Indien. Die besondere Atmosphäre bei uns spricht sich herum und außerdem bieten wir den Künstlern zwei kostenlose Übernachtungen an“, sagt Wolfgang Philipp. Er ist einer der Organisatoren von „Jazz goes Föhr“, das Ende Juli zum 19. Mal auf der nordfriesischen Insel veranstaltet wird.

Im vorigen Jahr kamen zu den fünf Konzerten knapp 1.000 Besucher in den Kurgartensaal Wyk. „Unser Saal hat 199 Plätze. Für einige Konzerte sind die Karten gerade bei bekannten Namen wie Nils Landgren schnell weg, bei anderen gibt es noch was an der Abendkasse“, sagt Philipp.

Eine Insel, ein überschaubarer Raum – das trägtzur familiären Atmosphäre von „Jazz goes Föhr“ bei. „Nach den Konzerten geht es weiter in einem Club“, sagt Philipp.“ Dort spielen die Profis mit Laienmusikern aus dem Publikum bis in die Nacht auf Jam-Sessions zusammen. „Es gibt nicht wenige Gäste, die ihren Urlaub auf Föhr immer so legen, dass sie beim Festival dabei sein können“, berichtet Philipp. Wer nicht rechtzeitig bucht, kann Probleme bei der Unterkunftssuche bekommen: In der Hauptferienzeit ist hier schnell alles belegt – und nach dem Konzert legt keine Fähre mehr in Richtung Festland ab.

Bei der Auswahl der Gruppen ist Philipp und seinen Mitstreitern bewusst, dass es auf Föhr kein großes Jazzpublikum gibt und man deswegen niemanden mit zu schrillen Tönen verschrecken darf. Trotzdem gibt man sich experimentierfreudig: Es treten Musiker auf Föhr zusammen auf, die vorher noch nie miteinander gespielt haben.

Philipp, selber Lehrer an der Kreismusikschule auf der Insel, geht es beim Festival auch um den Nachwuchs auf Föhr. In den Vorjahren haben die Jazzmusiker häufiger Workshops mit Kindern und Jugendlichen veranstaltet. Zeitweise bestanden fünf Schüler-Bigbands auf der Insel – eine bemerkenswerte Zahl bei 9.500 Einwohnern.

Neben Jazz goes Föhr (25.-29.7., www.jazzgoesfoehr.de) finden demnächst auch das Sommerjazz Festival Pinneberg (11.-14.8., www.summerjazz.de) sowie das Jazz-Meeting Kühlungsborn (20.-23.7., www.kunsthalle-kuehlungsborn.de) statt.