Spekulationskapital statt Dollarregen

Argentinien Präsident Macri kommt nach Berlin. Seine Bilanz: Arbeitslosigkeit, Verarmung, Inflation

56 Prozent finden ihn immer noch gut: Präsident Mauricio Macri Foto: dpa

BUENOS AIRES taz |Argentiniens Präsident Mauricio Macri ist auf Werbetour. Heute trifft er Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Arbeitsessen im Kanzleramt. Während die beiden speisen, wird sein Finanzminister potenziellen deutschen Investoren die neue Rechtssicherheit und Finanzierungsbedingungen erläutern und sein Verkehrsminister für geplante Infrastrukturprojekte werben.

Einen Dollarregen an ausländischen Investitionen hatte Macri seinen Landsleuten zu Beginn seiner Amtszeit im Dezember versprochen. Der ist bisher ausgeblieben. Lediglich kurzfristig angelegtes Spekulationskapital kam ins Land, angelockt von den über 30 Prozent hohen Zinsen, die die Zentralbank verfügt hat.

Mirtha Rawson nippt an ihrem Kaffee. Seitdem ihr Arbeitsvertrag als Sachbearbeiterin beim Erziehungsministerium ausgesetzt wurde, kommt sie häufiger ins Café im Hotel Bauen in der Straße Callao in Bue­nos Aires. Das Hotel war 2003 von seiner Belegschaft besetzt und in Eigenregie übernommen worden. Auf einem Bildschirm in der Ecke flimmert das Bild des Präsidenten. „Meine Stimme habe ich ihm gegeben, aber gewählt habe ich ihn nicht.“ Wie so viele wollte sie ein Ende der Kirchner-Ära. „Ich hatte deren ideologischen Polarisierungen so satt.“ Da blieb in der Stichwahl nur das Kreuzchen beim ehemaligen Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires.

Dass ihr Macri, kaum im Amt, den Stuhl vor die Tür stellte, hatte sie nicht erwartet. Der öffentliche Dienst wurde als Erstes durchforstet. Zahlreiche der hier üblichen Jahresverträge wurden nicht erneuert. Wie viele Angestellte ihren Arbeitsplatz räumen mussten, ist nicht bekannt, geschätzt wird ihre Zahl auf über 20.000.

Rechtzeitig zur Halbjahresbilanz vermeldet das Arbeitsministerium die ersten Erfolge. Die Zahlen auf dem privaten Arbeitsmarkt seien im Vergleich von April 2015 und April 2016 stabil, mit 0,4 Prozent habe es sogar einen leichten Anstieg gegeben, heißt es in einem kürzlich vorgestellten Bericht. „Reine Augenwischerei“, nennt dies Luis Campos, Koordinator des Observatoriums der sozialen Rechte der Gewerkschaft Central de Trabajadores de la Argentina (CTA). Zwar stimme der Monatsvergleich, aber er verschleiere den Abbau von Arbeitsplätzen seit November 2015, also nach Macris Sieg in der Stichwahl um das Präsidentenamt.

Seit Macris Amtsantritt ist die Zahl der Armen allein im Großraum Buenos Aires um über 1,7 Millionen Menschen gestiegen. Dabei hatte er „Pobreza Cero“ versprochen, null Armut.

Nach einer jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Poliarquía sind zwar nur 19 Prozent der Befragten mit der gegenwärtigen Situation zufrieden. Trotzdem gehen 58 Prozent davon aus, dass sich die Lage innerhalb der nächsten zwölf Monate deutlich verbessern werde. Der Präsident genießt zudem noch immer 56 Prozent Zustimmung.

Im Dezember hat Mirtha Rawson Macri gewählt. Jetzt steht sie auf der Straße

Auf dem Fernsehschirm steht jetzt eine große „42“, darunter: „Prognostizierte ­Inflationsrate für 2016“. Seit Jahren schon schlagen sich die ArgentinierInnen mit einer Jahresinflationsrate um die 30 Prozent herum. Nach den dramatischen Tariferhöhungen bei Strom, Gas und Wasser im Mai sowie den jüngten Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr, setzte jedoch überall eine Preisrallye ein.

Mirtha Rawson ist skeptisch, ob der versprochene Dollarregen tatsächlich noch kommt. Das Ziel sei doch lediglich eine Öffnung der Ökonomie für den Weltmarkt. Überleben sollen jene, die international konkurrieren können. „In unserem Fall ist das nur die Agrarwirtschaft und einige industrielle Nischen.“ Jürgen Vogt