Dokumente der Vernichtung 6 „Unternehmen Barbarossa“ – am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Die taz dokumentiert Tagebuchaufzeichnungen von Zeitzeugen
: „Gegenseitig fressen sie sich auf“

Der Koch Franz H. schildert, wie sowjetische Kriegsgefangene im Durchgangslager 150 in Dubowitzi bei Staraja Russa behandelt werden. Zwischen dem 22. Juni und dem Jahresende 1941 starben mehr als 1,5 Mil­lio­nen sowjetische Kriegsgefangene in Lagern der Wehrmacht, meist an Unterernährung und durch Erfrieren:

13. Oktober 1941. Die Gefangenen sterben wie die Fliegen. Den Friedhof hat man verlegt. 12 Gefangene waren heute morgen wieder tot. Lieber tot als Gefangener sein.

18. Oktober. M. schlug 2–3 Gefangene wieder nieder. Leute, die in ihrem Leben kaum etwas zu sagen haben, entdecken hier ihr Talent, den rücksichtslosen Herrn zu spielen. Wie wird das später mal sein, alles rächt sich.

31. Oktober. Das Schicksal und die Tragödien nehmen ihren weiteren Verlauf. Die Kälte bestimmt, dass immer mehr Menschen sterben. Heute morgen liegen über 30 Tote dort. Wieder stehen sie [die Kriegsgefangenen; Anm. d. Red.] frierend vor dem Tore und warten auf Kleidungsstücke, welche die Toten nicht mehr brauchen. Man zieht sie nackt aus. Geduldig wie die Tiere, teilnahmslos und, wie man meint, ohne jede Regung nehmen sie das Leben hin. M. erzählte, beim Begraben bewegte sich ein angeblich Toter, man trat ihm auf den Leib u. Hals, dass er erstickte. Anderenfalls hätte man ihn ja wieder zurücktragen müssen.

5. November. 50 waren heute morgen wieder tot. Wie Mäuse liegen die Toten herum.

26. Januar 1942. Die Gefangenen, welche von uns hier zum weiteren Abtransport herausgesucht sind, leben in der primitivsten Weise. 200 sind bereits tot. Furchtbare Szenen spielen sich dort ab. Gegenseitig fressen sie sich auf. Tote, denen eine Stück Oberschenkel fehlt, findet man immer wieder. Selbst das Gehirn wird gefressen. Wäre ich doch bloß hier raus.“

Aus: „Deutscher Osten 1939–1945. Der Weltanschauungskrieg in Photos und Texten“. Hrsg. v. Klaus Michael Mallmann, Volker Rieß u. Wolfram Pyta. WBG, Darmstadt 2003. Seite 164