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: Hertha dreht sich an die Tabellenspitze

FUSSBALL Zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren gewinnt Hertha BSC nach einem Rückstand ein Spiel

Hertha steht mit großem Vorsprung auf einem Aufstiegsrang, doch zur Halbzeit gibt es Pfiffe: Geht’s noch?

Die Stille auf den Rängen während der 90 Minuten lässt einen denken, man wäre in der mittäglichen Andacht in einer Charlottenburger Kapelle gelandet. Dazu plätschert leichter Regen auf den tiefen Rasen des Olympiastadions. Und die frühe Anstoßzeit, 13 Uhr, lädt auch eher zum zweiten Frühstück als zu Zweitligafußball ein. Öde Rahmenbedingungen, die das Herz eines Fußballfans nicht gerade hüpfen lassen.

Doch Hertha BSC widerstand der Versuchung, sich im letzten Spiel des Jahres dieser Tristesse Royal anzupassen: Verdient und mit zwei späten Toren schlug die Hertha den FSV Frankfurt am Samstag mit 2:1 – und übernahm damit zumindest vorübergehend die Tabellenführung. „Wir stehen nicht zu Unrecht da oben“, sagte Herthas Mittelfeldakteur Peer Kluge nach der Partie, „wichtiger ist aber, dass wir den Abstand zu den Rängen drei und vier vergrößert haben.“ Nun sind es schon zehn Punkte Vorsprung auf Relegationsrang drei. Nach dem 0:1-Rückstand waren es die späten Tore von Marcel Ndjeng und Ronny, die das Team von Jos Luhukay vor der ersten Liga-Pleite seit Mitte August bewahrten – auch damals ging es gegen den FSV.

Von Anfang an begleitet wurde das Spiel erneut vom stummen Protest eines Großteils der Hertha-Fans, die gegen den Beschluss der DFL-Sicherheitskonferenz vom Mittwoch protestierten. Dabei waren verschärfte Richtlinien gegenüber den Fans – etwa breitere Überwachung, die Möglichkeit von Ganzkörperkontrollen, erleichterte Kollektivstrafen – beschlossen worden. „Die meisten Fanclubs sind heute übereingekommen, während des Spiels keine Stimmung zu machen“, sagte Manfred Sangel vom Förderverein der Fanclubs Ostkurve.

So war die Fankurve vom breiten Verzicht auf Transparente, Fahnen und Gesang geprägt. „Das war heute schon ein Zeichen nach außen“, sagte Sangel, „die Aktionen der Fans in den vergangenen Wochen regen zum Nachdenken an.“ Nachdem die Fans zuletzt nur zwölf Minuten lang geschwiegen hatten, blieb es diesmal 90 Minuten überwiegend ruhig. Sangel glaubt, dass sich die Proteste im Frühjahr fortsetzen.

Das Hertha-Team wirkte bisweilen gehemmt durch die fehlende Unterstützung. Feldüberlegen zeigte sich Luhukays Mannschaft zwar in Halbzeit eins, die größte Chance aber blieb lange jene nach nur sieben Sekunden durch Peer Kluge: Dessen Abschluss verfehlte nur knapp das Tor. Danach hatte Hertha das Spiel in der Hand, einzig: Es passierte nicht so wahnsinnig viel. Die besten Chancen hatten Adrian Ramos und Peter Niemeyer, die Frankfurter konterten hin und wieder gefällig, aber nicht gefährlich. Zur Halbzeit waren einige Pfiffe aus dem Hertha-Fanblock zu hören – falls sie tatsächlich dem eigenen Team gegolten haben, fragt man sich schon: Geht’s noch?

Kurz nach der Pause kamen die Frankfurter besser ins Spiel. Zunächst konnte Hertha-Keeper Thomas Kraft noch gut gegen FSV-Stürmer Mathew Leckie klären, der frei vor ihm zum Abschluss kam. Kurze Zeit später ließ FSV-Mittelfeldspieler Michael Görlitz die ohnehin schon eisige Atmosphäre nicht gerade kuscheliger werden: Sein abgefälschter Schuss in Folge einer Frankfurter Standardsituation wurde von Herthas Innenverteidiger John Anthony Brooks abgefälscht und schlug unhaltbar neben Kraft im Hertha-Tor ein.

Der in dieser Saison überragende Mittelfeldregisseur Ronny demonstrierte kurz darauf mit einem Freistoß Siegeswillen – der Ball aber verfehlte das Tor.

Dass Hertha nach 16 Ligaspielen trotzdem ungeschlagen bleibt, ist dann doch noch Ronny zu verdanken. Nach dessen schnell ausgeführtem Freistoß tauchte der gedankenschnelle Ndjeng frei vor dem Tor der Frankfurter auf und schloss trocken ab. Zwei Minuten später war es der Brasilianer selbst, der allen angestauten Frust in einen Linksschuss legte – der Siegtreffer für Hertha, kurz vor dem Ende der Partie.

Damit hat Hertha zum ersten Mal seit März 2011 ein Spiel gedreht. Verpasst Braunschweig heute einen Sieg gegen Union Berlin, überwintert Hertha an der Tabellenspitze. Weihnachten kann kommen. JENS UTHOFF