„Stempel drauf und tschüss“

PapiereMit 16 Jahren hat Catalina vergessen, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Die Stadt Hamburg drohte ihr erst mit Abschiebung und prüft nun monatelang ihren Fall

Soll nach Chile ins Heimatland ihrer Mutter abgeschoben werden: Catalina Foto: Elisabeth Weydt

von Elisabeth Weydt

Sie hatte sich ihr Leben so schön ausgemalt: Den Realschulabschluss hatte Catalina in der Tasche. In drei Tagen wollte sie ihre Ausbildung zur Altenpflegerin in Hamburg beginnen. Sie würde alles geben und die Beste sein. Arbeiten, Geld verdienen und irgendwann ihr eigenes Altenpflegeheim aufmachen. Die damals 18-Jährige musste nur noch schnell zum Amt und ein Dokument abholen – doch dann kam der Schock: Der Mitarbeiter in der Hamburger Ausländerbehörde sagte ihr, dass sie seit zwei Jahren illegal in Deutschland lebe. In drei Wochen werde sie abgeschoben.

Zwar stammt Catalinas Mutter aus Chile und ihr Vater aus Peru, aber die junge Frau selbst ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. „Ich hatte nie Probleme mit irgendetwas“, sagt sie.

Doch mit 16 Jahren hätte sie eigentlich ihre Aufenthaltserlaubnis verlängern müssen und das hat sie vergessen. Für den Ausbildungsvertrag musste sie nun ihre Papiere zusammentragen und merkte, das etwas fehlt. Doch statt der Papiere bekam sie in der Behörde einen Abschiebebescheid. „Einfach so, knallhart, ohne Gefühle, ohne nichts. Ein Stempel drauf, bitteschön und tschüss“, erinnert sich Catalina.

Fast ein Jahr später sitzt sie in der kleinen Wohnung im Hamburger Norden, in der sie mit ihrer Mutter lebt. Bevor sie anfängt, ihre Geschichte zu erzählen, holt sie tief Luft und streicht die langen dunklen Haare aus dem Gesicht. Der Tag, der ihr Leben angehalten habe, sei der 27. Juli 2015 gewesen. Dieses Datum werde sie nicht vergessen, sagt Catalina. Der Tag habe alles infrage gestellt, was ihr bislang selbstverständlich erschien: Dass sie ein normales Leben hat, wie ihre Freundinnen auch. Dass Deutschland ihre Heimat ist.

Catalina nahm sich einen Anwalt und legte Widerspruch gegen die Abschiebeandrohung ein. Zudem beantragte sie eine Aufenthaltserlaubnis. Nun wartet Catalina seit mittlerweile gut zehn Monaten. In der Zwischenzeit ist sie 19 Jahre alt geworden und hat sehr viel Zeit auf dem grauen Sofa verbracht, auf dem sie auch jetzt sitzt.

Ohne gesicherten Aufenthaltsstatus darf sie nämlich so gut wie nichts tun. Sie darf nicht arbeiten, sie darf sich nicht weiterbilden, sie darf kein soziales Jahr machen. Schwarz arbeiten will sie nicht. „Dann würde ich mir noch gedemütigter vorkommen, wenn ich jetzt irgendwo heimlich arbeite“, sagt sie. Sie lebt von dem Geld ihrer Mutter, einer Putzfrau.

Am Anfang habe sie sehr viel geweint, sagt Catalina. „Es macht mich fertig, dass ich gar nichts machen darf. Aber dieses ganze Geheule, das will ich einfach nicht. Es bringt einfach nichts.“ Sie will jetzt mehr Sport machen. Wer weiß, wie viel Zeit sie noch totschlagen muss, während ihre ehemaligen Klassenkameraden ins Leben starten.

Wenn sie ihre früheren Freunde zufällig in der Stadt trifft, sagt sie, ihr ginge es gut. Die Ausbildung zur Altenpflegerin mache ihr Spaß. Die Menschen, mit denen sie tatsächlich spricht, sind ihr Bruder, ihre Mutter und ihr Freund. „Die kümmern sich sehr“, sagt sie. Aber die haben ein Leben und dementsprechend wenig Zeit. Ihr Freund macht Abitur und ist Fußballtrainer, ihr Bruder macht eine Ausbildung und ihre Mutter arbeitet sehr viel.

Statt der Papiere bekam Catalina von der Behörde einen Abschiebebescheid

„Klar habe ich einen Fehler gemacht“, sagt Catalina. „Ich hätte meine Aufenthaltserlaubnis verlängern müssen. Aber es kann doch nicht sein, dass sie ein Mädchen wegen so einem dummen Fehler einfach in ein fremdes Land schicken wollen.“ Catalina war erst ein einziges Mal in Chile, da war sie zwei Jahre alt. „Ich erinnere mich nicht. Deswegen zählt das für mich nicht.“ Sie hat keinen Kontakt zu ihrer Verwandtschaft in Lateinamerika. Ihre Mutter mache sich große Vorwürfe, sagt sie, „aber sie wusste es eben auch nicht“.

Laut eines Sprechers der Stadt Hamburg wird Catalinas Fall „in absehbarer Zeit“ vom Einwohner-Zentralamt geprüft. Es heißt jedoch: „Aufgrund des hohen Flüchtlingsaufkommens gibt es Rückstände in der Sachbearbeitung.“

Für Catalinas Anwalt Alonso Werner ist der Fall ein gutes Beispiel dafür, dass das deutsche Aufenthaltsrecht sehr rigide sei und in Hamburg ein großes Behördenwirrwarr in ausländerrechtlichen Angelegenheiten herrsche. Formell laufe zwar alles richtig, es dauere aber unverhältnismäßig lange.

Catalina findet Deutschland immer noch ganz in Ordnung. „Das ist mein Heimatland, ich kann dieses Land nicht hassen. Ich bin hier aufgewachsen, ich bin hier geboren.“ Sie kenne zwar nicht ganz Deutschland, aber Hamburg, das sei auf jeden Fall ihre Stadt. Sie überlegt kurz. „Hass hab ich nicht, aber sie könnten sich schon mehr Mühe geben.“