Asyl für das Freitagsgebet: Rostocks Muslime dürfen seit Kurzem im Gebäude des ehemaligen Schifffahrtsmuseums beten Foto: Bernd Wüstneck/picture alliance

Die Stille nach dem Zoff

ISLAM Die wachsende muslimische Gemeinde in Rostock sucht händeringend nach geeigneten Räumen. Wer zu einem vermeintlichen Übernahmeversuch durch Salafisten recherchiert, stößt auf Mauern

aus rostock Hannes Stepputat

Einsilbige Antworten, geplatzte Interviews, vertröstet und hingehalten werden – das ist es, was die Recherche zu diesem Text kennzeichnete. Eigentlich sollte ein Porträt der muslimischen Gemeinde in Rostock entstehen, doch daraus wurde nichts. Dabei sind es turbulente Zeiten für die Gemeinde: Es gibt Vorwürfe, dass sich eine kleine Gruppe Salafisten aus Rostock und Umland in der Moschee breitmache, liberale Muslime bedrohe und teilweise sogar das Freitagsgebet mit einem eigenen Imam durchführen lasse. Mehrfach war die Polizei vor Ort, weil es zu Auseinandersetzungen gekommen war. Inmitten dieser angespannten Lage musste der liberale Vorstand des Moscheevereins neu gewählt werden. Salafisten versuchten hier ebenfalls Einfluss zu gewinnen und so Zugriff auf die finanziellen Rücklagen des Vereins zu bekommen, scheiterten jedoch. Kurzum, es hätte viele Gründe gegeben, mit Vertretern der Gemeinde zu sprechen statt nur über sie. Doch das war nicht möglich.

Im Herbst 2015 reisten Zehntausende Flüchtlinge über Rostock nach Schweden aus. Die meisten übernachteten nur einige Nächte in der Stadt, bis sie einen Platz auf den Fähren ergattern konnten. Doch viele blieben auch, machten Rostock zum neuen Mittelpunkt ihres Lebens. Seit jenem Herbst hat sich die Größe der muslimischen Gemeinde etwa verdoppelt. Genaue Zahlen gibt es nicht, auch weil diejenigen, die es wissen müssten, nicht reden wollen. Wahrscheinlich liegt die Zahl bei etwa 700 Menschen, die regelmäßig in die Moschee kommen, sich treffen und beten. Die kleine Baracke, die am Eingang der Rostocker Südstadt direkt an Bahngleisen liegt, platzt bei so vielen Leuten aus allen Nähten. Da freitags zum Gebet längst nicht alle Menschen Platz im Inneren finden, müssen viele von ihnen außerhalb der Baracke unter einem Wellblechdach beten oder komplett im Freien. Bei Wind und Wetter.

Ende April schrieb ein anonymes Gemeindemitglied einen englischsprachigen Brief an die Lokalmedien, in dem er einen „Propagandakrieg“ inmitten der Gemeinde beschreibt und Vorwürfe an die Stadt erhebt. Die Moschee sei zu einem „Ort der Provokationen, des Hasses und des Streits statt eines Ortes des friedlichen Gebets“ geworden, heißt es darin. Auch an Sonntagen, wenn Kinder im Schul- und Kindergartenalter in die Moschee kommen, um „etwas über ihre Religion zu lernen oder wenigstens mit ihr in Kontakt zu kommen“, würden sie Zeugen von Provokationen und Auseinandersetzungen. Einige Eltern brächten ihre Kinder deshalb nicht mehr in die Moschee, schreibt der Verfasser weiter. Verantwortlich sei dafür eine Gruppe von Fundamentalisten, die demnach nur fünf oder sechs Personen aus Rostock und Güstrow (Landkreis Rostock) umfasse.

Doch ihre Pläne seien ambitioniert: Der Einsatz eigener Imame bei Gebeten, die Übernahme der vollen Kontrolle über den Vereinsvorstand und voller Zugriff auf die Gelder, die die Gemeinde in den letzten Jahren für einen Moscheeneubau gesammelt habe. Die schlechte Platzsituation im Gebäude begünstige die fundamentalistische Agitation zusätzlich. Der Verfasser wirft der Hansestadt vor, ihrer Verantwortung nicht gerecht zu werden und keine Entlastungsobjekte zur Verfügung zu stellen.

Unterhält man sich mit Leuten, die in der migrantischen Selbstorganisierung tätig sind und Kontakt zu Muslimen, Verantwortlichen aus der Moschee und Flüchtlingen haben, bestätigen sie hinter vorgehaltener Hand die Schilderungen. Offen reden können sie nicht, denn sie fürchten, dass ihre Vermittlerrolle, durch die sie mit allen beteiligten Seiten ins Gespräch kommen können, darunter leiden würde. Sie sagen, dass die Verantwortlichen der Gemeinde das Problem viel zu lange unter dem Deckel gehalten hätten. Einen kleinen Kreis von Salafisten und Sympathisanten gebe es schon länger in der Stadt und auch salafistische Koranstände in der Rostocker Einkaufsstraße sind kein Phänomen, das erst seit letztem Herbst auftritt.

Die Organisatoren der Stände und die Fundamentalisten in der Moschee seien derselbe Personenkreis. Der alte Gemeindevorstand habe aus Angst viel zu lange die Augen vor dem Problem verschlossen: Einige der Salafisten sollen Kontakte zu syrischen Kämpfern haben. Überprüfen lässt sich das jedoch nicht. Der neue Vorstand müsse nun mühsam den Drahtseilakt versuchen, gleichzeitig die Gemeinde zusammen- und die Salafisten draußen zu halten.

Imam-Jonas Dogesch, Sprecher des Rostocker Migrantenrats, sagt: „Wir wollen ein friedliches Zusammenleben und fordern die Moscheegemeinde auf, den Extremisten keinen Platz zu bieten und sich transparent mit ihnen auseinanderzusetzen.“ Dabei unterstütze der Migrantenrat die Gemeinde. Unter anderem seien mittlerweile Hausverbote gegen die Fundamentalisten ausgesprochen worden, an die sich bisher auch gehalten werde, sagte Dogesch.

Ein Interviewtermin mit dem neuen Vereinsvorsitzenden Sid Ahmad Haydra platzt. Zwar treffen wir uns nach dem Freitagsgebet an der Moschee, doch von dort führt Haydra mich auf einen Parkplatz zu seinem Auto. Er eröffnet mir, dass man statt eines Interviews lieber eine gemeinsame Pressekonferenz abhalten wolle, auf der alle Journalisten ihre Fragen stellen könnten. Einen Termin gebe es noch nicht, aber bald solle sie stattfinden.

Wichtig sei jetzt, dass nach der Aufregung um die Polizeieinsätze und Medienberichte über Fundamentalisten Ruhe einkehre. Die Gemeinde wolle nicht in schlechtem Licht stehen. Haydra will sich bald melden, tut es jedoch nicht. Bis zum Redaktionsschluss fast drei Wochen später hat kein Pressegespräch stattgefunden.

„Wir wollen ein friedliches ­Zusammenleben und fordern die Gemeinde auf, den Extremisten ­keinen Platz zu bieten und sich transparent mit ihnen auseinanderzusetzen“

Imam-Jonas Dogesch, Sprecher des Rostocker Migrantenrats

Der Vereinsvorsitzende ist nicht der Einzige, der sich wortkarg gibt. Auch das Landeskriminalamt antwortet nur knapp: Islamistische Bestrebungen stünden besonders im Fokus, aber eine Überwachung finde nicht statt. „Verdachtslagen“, was immer das heißen soll, werden regelmäßig geprüft. Weitere Nachfragen bleiben unbeantwortet.

In der Stadtverwaltung Rostocks gibt man sich demonstrativ entspannt: „Wir sind nicht besorgt, können es aber auch noch nicht einschätzen“, sagt Ulli Kunze, Sprecher der Hansestadt mit Blick auf die aktuellen Veränderungen innerhalb der Gemeinde. Man habe in den letzten Jahren gute Kontakte gehabt und sei daran interessiert, „den Dialog fortzusetzen“.

Um das Platzproblem in der Moschee zu lösen, hat die Gemeinde in der Societät Maritim, dem ehemaligen Schifffahrtsmuseum in der Rostocker Innenstadt, einen Gebetsraum bekommen. Bis zu 120 Menschen können dort „dezentral beten“, sagt Kunze. Dies sei vor allem im Fastenmonat Ramadan wichtig, um die Situation ein wenig zu entspannen.

Trotz des gerade beginnendem Landtagswahlkampf haben bisher weder die NPD noch die AfD das Thema prominent auf die Tagesordnung gesetzt. Aktivisten von „Rostock Nazifrei“ glauben jedoch nicht, dass dies so bleibt. Im Internet posierten Neonazis schon mal vor einem Schild der Moschee – mit einer Schweinemaske.