Den Protest studieren

An der Fachhochschule für Wirtschaft erfreut sich der Studiengang „Labour Policies and Globalisation“ großer Beliebtheit. Arbeitsplätze gibt es bei NGOs und Gewerkschaften

Dass Professoren die Namen ihrer Studenten kennen, ist selten. Hansjörg Herr aber kennt nicht nur die. Er weiß über jeden der 23 Teilnehmer am Masterstudiengang (MA) „Labour Policies and Globalisation“ Persönliches zu erzählen, auch biografische Daten wie Alter und Herkunft kennt er. „Dies ist eine Ausnahme“, gibt der Professor für Ökonomie an der Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) offen zu. Schließlich handelt es sich bei den handverlesenen Studierenden um die künftige Gewerkschaftselite, die hier ausgebildet wird.

Vor wenigen Wochen wurden die ersten Absolventen des einjährigen MAs verabschiedet, der erst 2004 auf Initiative der International Labour Organisation (ILO) konzipiert wurde. Nun startet bereits der zweite Durchlauf, dafür wurden persönliche Motivationsschreiben, bisherige Bachelor- oder Diplomabschlüsse und Empfehlungsschreiben von Arbeitgebern von über 130 Bewerbern geprüft.

Die wenigen, die es geschafft haben, sind mittlerweile aus 20 verschiedenen Ländern angereist. Sie kommen aus China, Korea, Moldawien, Brasilien, Namibia oder auch Deutschland, sprechen mehr oder weniger gut Englisch und sind zwischen 25 und 45 Jahre alt. Gemeinsam ist allen nur, dass sie sich schon seit Jahren in gewerkschaftsnahen oder gewerkschaftlichen Organisationen engagieren.

In nur einem Jahr sollen sie sich nun auch theoretisches Wissen zu den Themenfeldern Globalisierung, Arbeitsmärkte und Armutsbekämpfung aneignen. „Viele Praktiker aus der Gewerkschaftsbewegung können mit Vertretern etwa der Weltbank oder Wirtschaft nicht auf Augenhöhe verhandeln, insbesondere wenn es um makroökonomische Zusammenhänge geht“, erklärt Herr und beschreibt damit das Studienziel. Der rein englischsprachige MA gliedert sich dabei in die vier Module „Global Challenges to Labour“, „International Labour Rights“, „Processes of Globalisation“ und „Economic Responses to Globalisation“ auf. An seinem Ende wartet eine 50- bis 70-seitige Abschlussarbeit.

Das erste Semester absolvieren die neuen Studenten jedoch erst einmal an der Universität Kassel, ab dem Wintersemester im April kommen sie dann nach Berlin. Gemeinsam mit der Uni Kassel hat die FHW das Ausschreibungsverfahren für das zum größten Teil von der ILO finanzierte Programm gewonnen. Geld kommt aber auch vom Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit, das die dreijährige Pilotphase mit gut einer halben Million Euro finanziert.

Zudem sollen sich die bisherigen Arbeitgeber der Studierenden – ein Empfehlungsschreiben ist Voraussetzung – mit je 1.500 Euro beteiligen. Im Gegenzug versprechen die künftigen Abgänger, wieder zu ihrem Arbeitsplatz zurückzukehren. Auch ein Wechsel in die Wirtschaft sei nicht ausgeschlossen.

Harald Kröck, einziger Berliner im vergangenen Durchlauf, kommt von dort. Mit 44 Jahren hat er seinen Beruf als betriebswirtschaftlicher Controller aufgegeben. „Ich wollte nicht mehr daran arbeiten, wie man Kosten senkt und Personal abbaut“, sagt er. Privat hat er sich schon lange mit dem Thema Globalisierung beschäftigt, auch bei Attac und einer Gewerkschaft ist er Mitglied. Kröck sucht nun eine internationale Stelle bei einer NGO oder einer gewerkschaftsnahen Stiftung.

Zu einer Gewerkschaft will Kröck allerdings nicht. Fragt sich auch, ob die einen nehmen würden. Wie man einen Streik organisiert, lernt man im neuen Studiengang nicht TINA HÜTTL