„Mütter und Väter können ganz schön ungemütlich werden“

Das bleibt von der Woche Der Schwarzmarkt für die Wohnungsvermittlung an Flüchtlinge blüht, das Berliner Landgericht verurteilt Rolf Z. wegen Mordes, Pankower Eltern kämpfen auch für die Arbeitsrechte von ErzieherInnen, und Judith Hermann findet ihre Erzählungen gar nicht so düster

Zur Ausbeutung freigegeben

Wohnungsschwarzmarkt

Anerkannte Flüchtlinge brauchen Hilfe bei der Wohnungssuche

Dass es für die Verantwortlichen in der Hauptstadt kein Kinderspiel ist, jährlich Zehntausende NeuberlinerInnen mit passendem Wohnraum zu versorgen, ist unbenommen. Zumal ein Teil dieser Einwanderer, darunter in jedem Fall Geflüchtete, zumindest am Anfang ihres Neustarts in Berlin auf jobcenterübliche Mieten angewiesen sind. Dass sich in diesem Feld ein Schwarzmarkt entwickelt, auf dem illegale MaklerInnen Flüchtlingen Tausende Euro für die Vermittlung bezahlbarer Wohnungen abnehmen, ist jedoch die Folge davon, dass sich die für die Zurverfügungstellung ausreichenden Wohnraums Verantwortlichen sang- und klanglos ebendieser ihrer Verantwortung entziehen.

Ja, es gibt das Kontingent, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften für Geflüchtete zur Verfügung stellen. Das sind jährlich 275 Wohnungen – nicht nur angesichts eines Gesamtbestands von knapp 300.000 Wohnungen in Landesbesitz lächerlich wenig, sondern auch angesichts der etwa 50.000 Geflüchteten allein im vergangenen Jahr.

Zudem stehen diese Wohnungen allein denen zur Verfügung, die sich noch im Asylverfahren befinden. Sie werden direkt über die beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) angesiedelte Beratungsstelle des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF) vermittelt. Wer aber anerkannt wurde – und damit juristisch betrachtet kein Flüchtling mehr ist –, ist bei der Wohnungssuche komplett auf sich allein gestellt.

Flüchtlinge über Recht und Unrecht auf dem Wohnungsmarkt aufzuklären, wie es Verantwortliche nun vorschlagen, ist zwar grundsätzlich eine gute Idee, wird aber kaum Abhilfe schaffen. Wer erlebt, dass er anders keine Wohnung bekommt, wird es weiterhin vorziehen, einem Schwarzmakler Geld zu zahlen und weiter in der Turnhalle zu wohnen, statt diesem kompetent die Unrechtmäßigkeit seines Handels darzulegen. Anerkannte Flüchtlinge brauchen Hilfe bei der Wohnungssuche – und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften (Leerstand Mitte 2015: 7.600 Wohnungen) müssen endlich mehr Wohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Alke Wierth

Sehschwäche auf dem rechten Auge

Urteil im Fall Luke Holland

Ob Rolf Z. aus ­rassistischen Motiven tötete, bleibe ungewiss

Hitlerbüste, Bild der NS-Führungsriege, Karte des deutschen Reichs – all das fanden Behörden in der Wohnung von Rolf Z. Eines konnte ihm dennoch nicht nachgewiesen werden: ein rassistisches Tatmotiv. Das Berliner Landgericht verurteilte den 63-jährigen Z. wegen Mordes an dem Briten Luke Holland zu elf Jahren und sieben Monaten Haft. Im September vergangenen Jahres hatte Z. den 31-Jährigen in Neukölln mit einer Schrotflinte erschossen.

Während des Prozesses wurden materielle Beweisstücke um Hinweise auf die politische Einstellung des Täters ergänzt. Unmut über englisch- und spanischsprachige Gäste in der Kneipe Del Rex, vor der er Holland tötete, soll er geäußert haben. Er soll sich zudem darüber beschwert haben, dass es immer weniger „deutsche Kneipen“ geben würde.

Dass der Name Rolf Z. auch im Fall des im Jahr 2011 ebenfalls in Neukölln ermordeten Burak B. auftaucht, warf zusätzliche Fragen auf. Die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ beobachtete den Holland-Prozess penibel. Weil die Eltern des Getöteten Beweise genug sahen, blieben sie bei der Überzeugung: Ihr Sohn musste sterben, weil er kein Deutscher war.

Das Gericht jedoch befand anders. Weil Rolf Z. sein Schweigen nicht gebrochen habe, bleibe ungewiss, ob er aus rassistischen Motiven tötete. Weil es einen Rechtsstaat gebe, könne man nur auf der Basis von Tatsachen und keinesfalls von Spekulationen urteilen, betonte Richter Bernd Miczajka. Trotzdem beklagen die Prozessbeobachter von der Initiative auf ihrer Website ein „Nicht-Ernstnehmen, Entpolitisieren und Verharmlosen“ möglicher politischer Motive.

Dabei geht es ihnen nicht um den Rechtsstaat an sich, sondern darum, dass dieser spätestens seit Bekanntwerden der NSU-Morde unter dem Verdacht steht, eine Sehschwäche auf dem rechten Auge zu haben. Mehmet Daimagüler, Anwalt der Eltern von Holland und auch von Nebenklägern im NSU-­Prozess, schrieb deshalb auf Face­book: „Diese Verhandlung ist zu Ende. Der Kampf geht weiter.“

Volkan Agar

Öffentliche Arbeitgeber kein Vorbild

Gekündigte Erzieherinnen

Manchmal ist es auch richtig gut, wenn Eltern sich beschweren

Mit wütenden Eltern, das wissen Kitaleitungen, ist nicht zu spaßen. Mütter und Väter, die unzufrieden sind mit Erzieherin XY, dem Mittagessen, der Farbe des Sandspielzeugs oder was und wem auch immer, können ganz schön ungemütlich werden, manchmal vielleicht gar ein wenig hysterisch. Und manchmal ist es auch richtig gut, wenn die Eltern sich aufregen.

So wie nun über die Kindergärten NordOst, den größten der fünf Eigenbetriebe des Landes Berlin: Dort würden ErzieherInnen mit Nichtentfristung ihrer Arbeitsverträge bestraft, wenn sie mehr als 35 Krankheitstage in zwei Jahren ansammeln – obwohl die Kitaleitungen sie weiterbeschäftigen wollen. Mindestens von sechs solcher Fälle in verschiedenen Kitas wollen ElternvertreterInnen wissen.

Ein harter Vorwurf, den der landeseigene Träger natürlich sofort dementierte: „Vollkommen unklar“ sei, woher die Eltern die Zahl von 35 Krankheitstagen haben, wunderte sich die Geschäftsführung am Mittwoch in der taz. Die Eltern konterten: direkt von einer Kita­leiterin ­natürlich, die habe das im Gespräch mit einer Elternvertreterin gesagt. Was der Träger nicht dementierte: dass Fehltage generell in Personalent­scheidungen einbezogen werden.

Das ist nicht verboten. Aber ein gutes Signal ist es auch nicht gerade, das man da aussendet. Wer zu oft krank ist, darf gehen? Nun sind 35 Fehltage in zwei Jahren, sollte die Zahl stimmen, zum einen nicht sonderlich viel. Der bundesdeutsche Schnitt liegt bei 19 Tagen – im Jahr. Doch ganz unabhängig von einem konkreten Zahlenwert: In anderen Branchen würde ein solch streng betriebswirtschaftliches Denken vielleicht nicht überraschen. Bei einem Kitabetrieb, zumal einem landeseigenen, tut man sich da schon schwerer.

Zu Recht sagen die Eltern, die sich nun zu einer Aussprache mit dem Kitaträger und einer Bezirksvertreterin verabredet haben: Für die Kinder ist entscheidend, dass die Erzieherinnen fachlich gut sind – und sie sich nicht ständig an neue Gesichter gewöhnen müssen. So viel pädagogisches Grundverständnis sollte man eigentlich auch bei Betriebswirten voraussetzen. Anna Klöpper

Traurige Worte am Wannsee

Judith Hermann las

Die Geschichten sind so traurig, dass einem das Herz eng wird

Es ist nun schon fast 20 Jahre her, dass Judith Hermanns Erzählungen „Sommerhaus, später“ in aller Munde waren – weil diese Autorin es wie keine bis dahin schaffte, dem breiten Publikum zu erklären, wie die „Berliner Boheme“ damals lebte. Bei Judith Hermann wurden Leute geschildert, die häufig in den frühen Neunzigern nach Berlin gekommen waren, die in Anbetracht lächerlicher Mieten, riesiger Freiräume und unstrukturierter Studiengänge wenig Notwendigkeit sahen, über stressige Angelegenheiten wie Geld und Arbeit nachzudenken, die vorzugsweise ihren Gedanken nachhingen, hin und wieder sprachen, etwas rauchten – und irgendwie in alldem verbunden schienen.

Judith Hermann hat nach „Sommerhaus, später“ ein Kind bekommen, zwei weitere Bände mit Erzählungen publiziert, einen Roman – und nun, unter dem Namen „Lettipark“, wieder Erzählungen. So, wie sie in ihrer Literatur ihrer Klientel treu geblieben ist, so sind ihre Fans Judith Hermann treu geblieben. Viele Menschen haben an diesem schönen Sommerabend ins Literarische Colloquium am Wannsee gefunden, um ihr zu lauschen – fast alle sind wie die Autorin inzwischen Mitte vierzig. Viele von ihnen machen Gesichter, als wären sie irgendwo angekommen, wo sie eigentlich nie hingewollt hatten – und auch das teilen sie mit den Figuren von Judith Hermann, ja vielleicht mit Judith Hermann selbst.

Wie kann man ein fröhlicher Mensch sein, wenn man hauptsächlich Menschen beschreibt, die nicht nur keinen Draht mehr zueinander finden, sondern die darüber hinaus auch Schwierigkeiten haben, sich zu erinnern, was sie einmal geteilt haben mögen? Liegt es am Großziehen der Kinder? Am vielen Rechnen, an den Zumutungen des Erwachsenwerdens? Oder einfach nur daran, dass die Zukunft schrumpft und die Vergangenheit wächst, je älter man wird? So oder so: Die Geschichten der Judith Hermann im Jahr 2016 sind so traurig, dass einem das Herz eng wird, wenn man sie liest.

„Ich finde gar nicht, dass meine Geschichten so düster sind“, verteidigt sich die Autorin auf dem Podium. Kurz darauf verrät sie, dass sie schon seit einiger Zeit keine Musik mehr hören kann, dass sie kürzlich sogar ihren Sohn bat, ein Lieblingslied auszuschalten, das als Motto ihrem zweiten Buch vorangestellt war, den Song „Wouldn’t It Be Nice“ von den Beach Boys. „So eine strahlende, euphorische Musik“, seufzt sie. Hinterm Literarischen Colloquium geht die Sonne unter. Susanne Messmer