Finanzielle Hilfe an der falschen Stelle

AFGHANISTAN NGOs kritisieren die Kriegsführung der Nato und das Konzept der zivil-militärischen Lager

„Die Logik ‚wir müssen Krieg machen, um Entwicklungshilfe zu kriegen‘, ist absurd“

BERLIN taz | Deutsche und afghanische Hilfs- und Friedensorganisationen fordern, dem zivilen Aufbau Afghanistans Vorrang vor der militärischen Absicherung zu geben. Jürgen Lieser, Vizevorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro) kritisierte am Dienstag in Berlin, das riskante zivile Engagement gerate „meist in den Hintergrund.“ Angesichts der jüngsten Erhöhung der Militärmittel auf 820 Millionen Euro für 2010 verlangte er eine Aufstockung der Hilfsmittel auf „vielleicht das Doppelte“, nach Liesers Rechnung 360 Millionen Euro.

Dirk Niebel hatte ihn vermutlich noch nicht gehört. Doch zum selben Zeitpunkt verkündete der FDP-Entwicklungsminister, die Entwicklungshilfe für Afghanistan werde um 52 auf 144 Millionen Euro aufgestockt – für das noch laufende Jahr 2009. Gefördert werden sollen damit allerdings nicht Projekte der Venro-Organisationen, sondern Regierungsprogramme für Jobs, gute Regierungsführung sowie Rechtsstaatlichkeit. Zusammen mit dem Geld des Auswärtigen Amts – zuletzt 115 Millionen Euro – wären dann insgesamt 259 Millionen Euro im zivilen Topf.

Unterdessen kritisierte Lieser, dass die gewaltigen militärischen Anstrengungen erkennbar die Ziele nicht erreichen. „Die Afghanistan-Strategie droht zu scheitern“. Ein Grund liege darin, dass durch hohe zivile Opferzahlen „der Zorn gegen Besatzer“ wachse. Das Nato-Konzept der Provincial Reconstruction Teams (PRT), der Militärlager mit eingegliederten zivilen Vertretern, verwische zudem die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Unterstützung, zwischen Helfern und Soldaten.

So würden nicht nur zivile Helfer gefährdet, sondern auch Mittel fehlgelenkt: Die Hilfe fließe dahin, wo das Militär sei, nicht wo sie am dringendsten benötigt werde. Die daraus für die Afghanen folgende Logik, „ ‚wir müssen Krieg machen, um Entwicklungshilfe zu bekommen‘, ist absurd“, sagte Lieser, der für die Caritas arbeitet. Das Geld gehöre eher aufs Land als in die Städte.

Aziz Rafiee vom Afghan Civil Society Forum, in dem nach seinen Angaben über 300 afghanische Zivilorganisationen zusammengefasst sind, kritisierte ebenfalls die PRT-Struktur. Diese zivil-militärischen Stützpunkte der internationalen Truppen „unterminieren die afghanische Regierung“, sagte Rafiee. „Wenn etwa ein Landbewohner eine Brücke will, geht er nicht zur Regierung, sondern zum PRT. Denn er weiß, dass dort die Ressourcen sind.“ Das Geld gehöre in afghanische Hände, damit die Afghanen ihrem Staat zu vertrauen lernten. Doch müsse es ein strenges Überwachungssystem dafür geben, wie die Mittel verteilt und ausgegeben würden. UWI