ES KANN NICHT NUR AN DEN GEWITTERN LIEGEN, DENEN WIR IM SÜDEN ENTGANGEN SIND. NEIN, SO DENKE ICH MANCHMAL, DIE DINGE GEDEIHEN EINFACH BESSER – OHNE MICH
: Gemobbtes Geflügel im grüntriefenden Garten

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Als wir nachts die schlafenden Kinder nach der langen Heimfahrt ins Haus tragen, schlagen mir überquellende Triebe aus unseren Gemüsebeeten entgegen. Am nächsten Tag, als wir am Nachmittag endlich die Zeit finden, mal kurz nach den Ziegen zu schauen, bestätigt sich mein Verdacht: Am besten gedeihen die Dinge – ohne mich. Ohne meine Hand, die sich mehrmals täglich, aber am Ende untätig um die Blüten legt. „Haben sie genug Wasser?“, frage ich vielleicht, und: „Sollte ich sie noch mal düngen?“ – aber dann fehlt mir doch die Zeit.

Mit glänzendem Fell und gut im Futter begrüßen mich die Ziegen, meckernd und reizend und nervend wie immer. Und doch etwas praller. Prall steht auch das Feld, grün wie der Garten. Die ständigen Gewitter, denen wir im Süden entgangen sind, haben triefendes Wohlergehen hervorgebracht, ganz ohne mich.

Auch mir geht es besser. Auf der Straße treffe ich Amer, der mit seiner Frau und den fünf Kindern hergeflogen worden ist, direkt aus dem Flüchtlingslager in Jordanien. Vor drei Monaten fehlte mir noch der Mut, als ich hörte, dass die alte Mutter ins Heim sollte, zehn Kilometer die Straße runter, und der Rest der Familie, auf elendigen Busverkehr angewiesen, in alle Himmelsrichtungen auf verschiedene Arten von Schule. „Ich komme euch heute besuchen“, sage ich, und zum Glück findet sich auch ein Freund, der es ihm übersetzt.

Auch Amer geht es gut: Die Söhne, der 15-jährige Ali und der zwölfjährige Mohammed, übersetzen mit Händen und Beinen, wo die Übersetzungs-App versagt: Sie seien gerne in Dänemark, alle hier seien so freundlich. Die Oma sitzt im Rollstuhl, im Wohnzimmer, und ist nun doch im angrenzenden Haus einquartiert. Amers Frau muss vorerst doch nicht die Schule besuchen, aus gesundheitlichen Gründen, und kann wie gewohnt auf Schwiegermuttern und den jüngsten Sohn aufpassen.

Auf dem Rückweg besuche ich noch kurz Refat. Auch er scheint ohne die Obhut seiner Frau so richtig zu gedeihen: Ein Riesenbildschirm steht auf dem Esstisch, Kumpels sind zu Besuch, sie rauchen und sehen sich den Motor des neuen Autos an. Stolz zeigt er mir auch seine neuen Tauben, die im Schlag sitzen, und die Hühner. Da sehe ich die zwei Mobbingopfer wieder, mit denen ich schon vor zwei Monaten Mitleid hatte: Auf dem Rücken komplett nackt, können sie kaum den Legekasten verlassen, ohne dass sich die ganze Schar pickend auf sie stürzt. Also retten sie sich ins Gestrüpp.

Ich vergesse, was ich schon gelernt habe: „Wie wär’s“, frage ich also, „wenn wir die Hühner irgendwann mal in unserer Hühnerschar aufnehmen?“ Refat sagt irgendwas, das ich nicht verstehe, und verschwindet im Hintergarten. Als er zurückkommt, hält er zwei Hühner an ihren Beinen in Händen. „Ich hab doch keinen Karton“, sage ich, und er holt eine Plastiktüte.

Im Auto denke ich darüber nah, ob die beiden von unseren Hühnern nicht genauso gemobbt werden dürften. Im Kofferraum ist es still, ich rase die Straße entlang, hoffend, dass ihnen nicht die Luft ausgeht. Und dann sind sie in unserem Garten, im Holzschuppen, eine Handvoll hingeworfener Körner erschreckt sie zu Tode, und wenn wir reinkommen, gehen sie raus. Und spazieren lieber durch den grüntriefenden Garten. Hoffentlich kommt der Fuchs nicht, denke ich, und sie gackern, aber ich weiß nicht, was.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.