Es fehlt nur die Palmentapete

Baden So geht Natur heute: Der Ernst-Thälmann-See wurde wiedereröffnet. Aus dem einstigen FEZ-Chlorbadesee ist ein mit Regenwasser gespeistes Ökopionierprojekt geworden

An drei Seiten mit Betonwänden verziert, ist die einzig „natürliche“ Begrenzung der Strand Foto: Julia Baier

von Andreas Becker

Man muss schon ein gutes Stück durch die bewaldete Wuhlheide radeln, um ein raumschiffartiges, mit dunklem Holz verkleidetes Gebäude zu finden, das einmal Pionierpalast hieß. 1979 eröffnet und für DDR-Architektur erstaunlich spielerisch, ist heute das FEZ hier stationiert. Der Hingucker ist das geräumige, helle Foyer, in dem eine geschwungene, große Showtreppe nach oben führt. Man meint sofort, Carmen Nebel in einer Defa-Produktion hier runterschweben zu sehen.

Im ersten Stock, als Verzierung einer weiteren Treppe, glänzt in bunten, fast waldorfpädagogischen Farben ein irre tolles Sozialismusmosaik. Mit einer Sojuskapsel, einem bunten Mond, einer Ölbohrplattform und einem Schiff, auf einem See ankernd, der bis ins Erdgeschoss reicht. Im Moment findet hier, wie immer in den Ferien, FEZitty statt, ein großes Mitmachfest, das einen am Eingang mit einem ulkigen Jobcenter für Kids begrüßt.

Draußen auf dem Vorplatz kreisen Kinder in Original-DDR-Gokarts durch eine Art Miniverkehrschule. Eine Mutter ruft laut „Stopp!“ von der Parkbank, als ihr Kind ein Schild übersieht.

Schon in den 1950er Jahren hatte die „Pionierrepublik Ernst Thälmann“ (neben der heute noch bespielten Freilichtbühne) einen kleinen, künstlichen Badesee, an dem die Arbeiterklasse am Strand relaxte. Das Seewasser wurde mit Chlor gereinigt. Damit war dann irgendwann Schluss, das Gelände drohte zuzuwuchern.

Dann konnten das FEZ und die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt 1,13 Millionen aus einem EU-Fördertopf auftreiben, Berlin gab auch noch mal rund 200.000 Euro dazu, und so konnte ab 2014 der merkwürdige Kunstsee reanimiert werden. Natürlich als ökologisches Vorzeigeprojekt. Das Wasser im See ist zum Großteil durch schilf­gefiltertes Regenwasser vom 15.000 Quadratmeter großen FEZ-Dach. Große Warnschilder am Strand fordern nachdrücklich zum Duschen auf. Das Ökowassersystem soll nicht von eingecremten Menschen aus dem Gleichgewicht gebracht werden.

Der Strand ist gut gefüllt, hauptsächlich mit Familien aus der Umgebung. Leider gibt es kein FKK, aber einen Nichtraucherstrand. Es herrscht ein recht direkter Ton: „Geht jetzt endlich ins Wasser“, brüllt ein Papi, der vorher brav für alle Currywurst und Pommes an der gemütlichen, leicht schrottigen Imbissbude geholt hatte. Man kann sogar (für 4 Euro) Liegestühle mieten – macht aber niemand.

Am historischen Klohäuschen steht „Männer“ und „Damen“ – scheinbar gab’s bei den DDR-Pionieren keine „Herren“. Wahrscheinlich wegen der damals gerade erst geschlagenen Herrenmenschen.

Von deren moderner Variante sieht man angenehm wenige. Beim über dreistündigen Rumlümmeln am Strand nur einen mit Runen-T-Shirt, obwohl man ja im verrufenen Schöneweide ist. Ekliger ist da schon der moderne Glatzkopfpapa, der seinen Sohn zum Windelwickeln direkt auf den Plastiktisch legt, an dem ich eigentlich ein Paar lauwarme Wiener mit Brötchen (1,50 Euro) verzehren wollte – esse ich eben im Sand liegend …

Dieser „See“ ist schon merkwürdig. An drei Seiten mit Betonwänden verziert, ist die einzig „natürliche“ Begrenzung der Strand. Der „Nutzungsbereich“, also die Seefläche, beträgt exakt 8.700 Quadratmeter. Was nicht unwichtig war für die Berechnung der schilfbewachsenen „Rasenfilterbeete“. Wie ein Freibad hat der FEZ-See einen Überlauf in eine der Mauern, damit das Seewasser wieder gereinigt werden kann – auch in Kies und Schilf. Das funktioniert bislang wohl sehr kostengünstig und perfekt, oder, wie man hier naheliegenderweise sagt: Das fezt.

Am Strand stellt sich recht schnell ein wohliges Gefühl von Truman Show ein. Oder von Tropical Islands ohne Dach.

Der Strand ist gut gefüllt, hauptsächlich mit Familys aus der Umgebung

Aus den Mauern rechts und links ragen erigierte schwarze Plastikrohre, aus denen das „frische“ Seewasser sprudelt. Als man gerade auf diese Rohre zutreibt, röhrt es schon vom Blockhaus der ansonsten recht zahmen Bademeister: „Nicht zu den Wänden schwimmen!“

Schwimmen funktioniert trotzdem super. Das Wasser ist leicht grünlich, nicht zu kalt, riecht ähnlich wie ein Natursee, und durch die Betonwände hat man die Illusion, Bahnen ziehen zu können. Leider verfangen sich manchmal grüne Schlingpflanzen an Händen oder Füßen.

Tatsächlich echt ist der Sand, der einem aus dem Handtuch entgegenweht und die Badehose verklebt. Und in einem riesigen Tattoo eines toten Baums auf dem Rücken einer Frau fällt einem ein kleiner roter Punkt auf. Es ist ein Apfel. So geht Natur heute. Insofern ist dieser Pseudosee eigentlich die perfekte Animation unserer Gegenwart.

Auf der Rückfahrt durch die Wuhlheide geht es an den Kleinbauten des „Modellparks“ vorbei. Hinter einem Zaun das nachgebaute Frankfurter Tor, der Reichstag, irgendwelche Kirchen, der Fernsehturm und sogar der bescheuerte blauweiße Welt-Zeitungsfesselballon beim Gropiusbau. Alles Maßstab 1:25. Ohne jegliche Drogeneinnahme meint man jetzt, überall nur noch Simulationen zu erkennen, und lacht viel zu laut.

Straße zum FEZ 2, täglich bis 19 Uhr. Erwachsene 4 € Eintritt, Kinder 2,50. Der See ist leider schlecht ausgeschildert und nicht durchs Hauptgebäude erreichbar