Buntes Spektakel,
auf Papier gedruckt

DIE ZEITSCHRIFTEN-UMSCHAU „Karfunkel Codex“ will das Mittelalter „erlebbar“ machen. Muss das sein?

Pizza? Amulett? Foto: Karfunkel Verlag

Der Bahnhofskiosk – unendliche Weiten: Knapp 1.600 Publikumszeitschriften schwappen regelmäßig in die Regale. In loser Folge und streng nach dem Zufallsprinzip stößt das taz-Medienressort in Parallelwelten vor, die manche menschliche Wesen regelmäßig aufsuchen, auf der Suche nach genau der Zeitschrift, die ihrem Leben den ganz speziellen Sinn gibt. Heute:Karfunkel Codex“

Wie schaut’ s aus?

Karfunkel Codex ist das jährliche Sonderheft der Zweimonatszeitschrift Karfunkel, die man sich eher nicht kauft, weil man sich für angesagte Mode oder Lifestyle interessiert. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls auf, wenn man nur den Titel betrachtet, auf dem bei der diesjährigen Ausgabe „Frühmittelalter“ in minuskelartiger Schrift auf dem Cover steht – und es auch sonst sehr nach ferner Vergangenheit aussieht. Dreht man das Heft jedoch um, landet man im Hobbykeller der Gegenwart. Die Anzeige von battlemerchant.com bewirbt etwa „Neu! Sachsenzelt Jorvik, 4x6 Meter, 100 % Baumwolle, 449,90 €“, das „Wikingerkleid Edda, div. Farben und Größen, 100 % Baumwolle“ sowie „Utensilien für den Kerker: Schandgeigen, Schlüssel, Schlösser, Handschellen“. Da fühlen sich dann wohl nicht nur die ganz reinen Dark-Ages-Freaks, sondern auch moderne Alles-geht-nichts-muss-Menschen angesprochen.

Was steht drin?

Schön nach Reichen und Ländern geordnet wird die frühmittelalterliche Geschichte global und kulturenübergeifend aufgefächert, alles ordentlich, gern gruselig aber nie germanentümelnd aufgeschrieben und bebildert. Weiter hinten gibt es dann Themenartikel wie „Herrschaft und Recht“, „Der Islam“ oder „Kleidung im Mittelalter“. Wer sich dafür interessiert, kommt zum Preis von 9,90 Euro für 146 Textseiten definitiv auf seine Kosten.

Wer liest es?

Karfunkel sagt von sich selbst, es sei „die Zeitschrift für erlebbare Geschichte und Gründungsmitglied des ersten deutschen Dachverbandes für erlebbare Geschichte, VITA HISTORICA und von CARP, der Cooperativen Allianz der Zeitschriften für Re-enactment.“ Ach so. Im „Karfunkel-Shop“ gibt es denn auch alles an Info, was MittelalternachstellerInnen sich nur herbeizuzaubern wünschen. Menschen, die Karfunkel lesen, interessieren sich den Inseraten zufolge auch für Schwertkampfseminare, „Gewandung“ und „Mittelalter Komplett Ausstatter“. Und wahrscheinlich auch für „Harry Potter“ und „Der Herr der Ringe“. Andere Erwachsene jagen Pokémons, wieder andere retten Flüchtlinge aus dem Mittelmeer, statt sich ins Mittelalter zu träumen.

Wer macht es?

Karfunkel kommt aus dem Karfunkel-Verlag in – wenig überraschend – 69483 Wald-Michelbach. Die Redaktion wiederum suche man in 52146 Würselen, die Abonnement- und Vertriebsleitung in 74706 Osterburken. Zuträger sind studierte Leute, aber eher altgediente M. A. als Doktoren oder Master (für die Jüngeren: das M. A. steht für „Magister/ra Artium“, einen akademischen Grad, für den man fast völlig frei und so lange studieren konnte, wie man wollte; klingt irre, war aber so).

Warum kauft man es (k)ein zweites Mal?

Kostet eben eine Menge Gold. Aber für längere Zugfahrten ist Karfunkelauch nicht blöder als der Stern.Ambros Waibel