Weltsozialforum

Um der schwindenden Bedeutung der Nordhalbkugel zu begegnen, findet das Treffen erstmals in einem Industrieland statt: in Kanada

„Das Nein zu Ceta und TTIP wirkt mobilisierend“

Motiv Der Protest gegen die Konzernmachtist zentral, meint Attac-Aktivist Hugo Braun

Hugo Braun

Foto: Attac

ist Mitglied im Koordinierungskreis des Netzwerks Attac. Zum Zeitpunkt des Gesprächs war er gerade in Kanada angekommen.

taz: Das Weltsozialforum war einst eine weltweit beachtete Protestveranstaltung gegen die Dominanz globaler Konzerne. Wie wichtig ist es heute noch?

Hugo Braun: Die Veranstaltung hat zwar an öffentlicher Aufmerksamkeit verloren, Probleme wie Krieg und Terror sind für viele Bürger heute wichtiger. Dennoch bleibt der Protest gegen die Konzernmacht auch in Montreal das zentrale Thema. Und in jedem Fall ist das Weltsozialforum ein Ort spannender Begegnungen – besonders für und mit Menschen aus dem globalen Süden, die sich die Reise zum Treffen oft nur ein Mal im Leben leisten können.

Ist schon eine griffige Botschaft zu erkennen, die von Montreal ausgehen wird?

Das Nein zu den Freihandelsabkommen Ceta und TTIP. Wir stehen in Europa kurz davor, diese Verträge mit Kanada und den USA zu stoppen. Diese Aussicht wirkt mobilisierend. Außerdem wollen wir einen weltweiten Aktionstag gegen Steueroasen einführen.

Interessieren TTIP und Ceta auch die Teilnehmer aus Lateinamerika, Asien und Afrika?

Allerdings, denn einige Entwicklungsländer könnten als Folge der neuen Abkommen ihren privilegierten Zugang zum europäischen Markt verlieren. Trotzdem ist bereits jetzt zu sehen, dass das Weltsozialforum mehr Gewicht auf Themen legt, die man eher im reichen Norden wichtig findet. Der Kampf gegen die weltweite Armut könnte zu kurz kommen. Das liegt auch daran, dass die kanadische Regierung vielen Teilnehmern aus armen Ländern keine Visa erteilt.

Wäre es nicht heute an der Zeit, zusammen mit der Wirtschaft gegen die Feinde von Freiheit und Menschenrechten aktiv zu werden: gegen Putin, Erdoğan, die rechte Regierung in Warschau, autoritäre Eliten im Sudan oder Uganda?

Eine solch summarische Kritik wird in Montreal nicht stattfinden, weil die Vertreter der einzelnen Regionen zu unterschiedliche Meinungen vertreten.

Unternehmen setzen sich mitunter mehr für die Menschenrechte ein als Regierungen. Viele Manager plädieren für offene Grenzen, wie auch manche Linke. Warum laden Sie nicht mal Firmenchefs zum Weltsozialforum ein?

Ich könnte mir das vorstellen. Auch mit Menschen aus der Wirtschaft kann man mitunter über Ökologie und Klimawandel sprechen. Die Mehrheit der Teilnehmer hält aber an ihrer antikapitalistischen Grundhaltung fest. Denn die eigentliche Ursache vieler Weltprobleme liegt in der ausschließlichen Profitorientierung der Marktwirtschaft.

Ist das mittlerweile der kleinste gemeinsame Nenner, weil die Neuorientierung zu kompliziert erscheint?

Nein. Ein Weltwirtschaftssystem, das Reichen ermöglicht, ihr Kapital in Steueroasen zu verstecken, stellt ein reales Problem dar. Es verschärft die Armut, auch im globalen Süden.

Welche Erfolge haben linke oder fortschrittliche Bewegungen in den vergangenen 15 Jahren erzielt?

2003 rief das Weltsozialforum dazu auf, gegen den Irakkrieg zu demonstrieren. Die Bundesregierung unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder weigerte sich schließlich, an dem militärischen Abenteuer teilzunehmen. Ein weiterer sichtbarer Erfolg: Wir haben die Transaktionsteuer auf Finanzgeschäfte so lange und laut gefordert, dass einige Staaten Europas sie bald einführen könnten.

Halten Sie die schärfere politische Regulierung der internationalen Finanzwirtschaft nach Finanzkrise ab 2009 für eine gute Sache?

Aber ja. Und es müsste mehr passieren. Beispielsweise bräuchten wir strengere Eigenkapitalregeln für Banken, damit diese in Zukunft weniger risikoreiche Geschäfte machen.

InterviewHannes Koch