„Männer haben Frauen nicht ­zu­ befehlen, was diese an- oder aus­ziehen sollten“

DAS WAR DIE WOCHE Bundesfinanzminister Schäuble will Immobilien wie das Dragoner-Areal ohne Ländereinmischung verkaufen, Polizei disst angeschossenen Mann aus Hellersdorf als Drogendealer, Hoch „Gerd“ lässt Berlin in allerbestem Licht erstrahlen, und BerlinerInnen demonstrieren gegen Burkiniverbote

Schäubles versuchte Erpressung

Lex Dragoner-Areal

Das Nein von Gabriel ist ein Hinweis auf die Bedeutung des Landes Berlin

Dass irgendwas in der Art passieren würde, hatte sich abgezeichnet. Ende Juli war bekannt geworden, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) den Kaufvertrag für das Kreuzberger Dragoner-Areal nicht rückgängig macht. Die bundeseigene Anstalt, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) untersteht, bestand auf dem Verkauf an einen österreichischen Investor für 36 Millionen Euro. Und das, obwohl der Bundesrat – auf Druck Berlins – das Geschäft platzen ließ. „Wir haben den Kaufvertrag für das Dragoner-Areal nicht rückabgewickelt, weil wir hoffen, den Verkauf doch noch wirksam abschließen zu können“, hatte Bima-Vorstandssprecher Jürgen Gehb gesagt.

Seit dieser Woche, weiß man, warum. 7 Milliarden Euro sollen die Bundesländer von Schäuble für die Flüchtlingsunterbringung bekommen. Aber nur unter einer Bedingung. Sie sollen künftig auf ihr Mitspracherecht beim Verkauf von Bundesimmobilien verzichten. Schäuble will sich damit freie Fahrt beim Verschachern des Bundesvermögens sichern. Dass die Länder und Kommunen längst auf eine nachhaltigere Flächenpolitik setzen, ist ihm schnuppe.

Womit der CDU-Mann nicht gerechnet haben wird, ist der politische Shitstorm, der seinem Erpressungsversuch folgte. Nicht nur die Landes-SPD zeigte sich empört, auch Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kündigte an, dass die SPD auf Bundesebene dem Vorstoß nicht zustimmen werde. Hat sich Schäuble also verrechnet?

Vielleicht hat er auch nur nicht damit gerechnet, dass ein Kreuzberger Grundstück einen Koalitionskonflikt im Bund auslösen kann. Tatsächlich war das Standing Berlins auf Bundesebene bislang eher dürftig. Inzwischen aber hat Berlin, allen voran Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen, viel Netzwerkarbeit betrieben und sich damit ein Mehr an Einfluss gesichert. Das Nein von Gabriel ist damit auch ein Hinweis auf die gewachsene politische Bedeutung des Landes Berlin.

Uwe Rada

Informieren statt diffamieren

Schuss in Hellersdorf

Von Polizeiopfern heißt es schnell: verwirrt, drogen­süchtig, kriminell

Viele offene Fragen, wenige Antworten – so stellt sich der Vorfall um den in Hellersdorf von der Polizei angeschossenen Mann auch in den Tagen nach der Tat dar. Mit einem Motorradkettenschloss soll der 25-Jährige am vorigen Samstagabend Passanten bedroht und einen Mopedfahrer fast von seiner Maschine geschlagen haben. Als der Mann auch nach mehrmaliger Aufforderung der herbeigerufenen Polizistin das Schloss nicht niedergelegt und sich auf die Beamtin zubewegt habe, habe diese aus einer Distanz von wenigen Metern auf ihn geschossen, so die Darstellung der Polizei.

Weder Opfer noch Täterin haben sich bisher geäußert: Der Mann musste nach dem Bauchschuss notoperiert werden und liegt nun im künstlichen Koma, die Beamtin macht von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Wie genau der Schuss zustande kam, ist bisher nicht geklärt – dafür aber gibt die Polizei immer neue Details über den Angeschossenen heraus.

So soll der Mann psychisch krank und schon mehrfach mit Aggressionen auffällig geworden sein. Dass diese Informationen veröffentlicht werden, ist nachvollziehbar – sie geben schließlich einen Anhaltspunkt, wie bedrohlich und unkontrollierbar die Situation gewesen sein könnte.

Anders ist es mit der Information, der Mann habe als Dealer im Görlitzer Park gearbeitet. Warum diese Information für den Vorfall relevant ist, erschließt sich nicht, dafür weckt sie aber Assoziationen zu einem anderen Fall: Von dem 31-jährigen Manuel F., den die Polizei vor drei Jahren im Neptunbrunnen erschoss, nachdem er mit einem langen Messer hantiert hatte, hieß es nach der Tat, dieser habe „exzessiv Cannabis geraucht“.

Verwirrt, gestört, drogenabhängig, kriminell: Die von der Polizei herausgegebenen Informationen lassen sich schnell zu diesem Bild zusammenpuzzlen, das die polizeilichen Schüsse legitim erscheinen lässt. Die eigentlichen Tatumstände geraten da in den Hintergrund – dabei können nur sie die Grundlage einer Beurteilung der Schüsse sein undnicht die Frage, womit die Opfer ihr Geld verdienten oder welche Drogen sie konsumierten. Wenn die BeamtInnen richtig handelten, sollte es der Polizei möglich sein, deren Verhalten öffentlich zu rechtfertigen, ohne sich in den Verdacht zu bringen, die Opfer zu diskreditieren. Malene Gürgen

Gerd, bleib doch noch ein bisschen

Summer in the city

Berlin ist eine Topsommerlocation, die sich auch ohne viel Geld erleben lässt

Gerd. Nicht torjägerig Müller oder kanzlerisch Schröder, nein, einfach Gerd. Der Name wird im Kopf bleiben. Weil er so selten geworden ist wie die warmen Sommertage, die wir in dieser Woche dem nach ihm benannten Hoch zu verdanken haben. Und weil da wieder klar wird, was außerhalb der Hauptstadt schier keiner glauben mag: Berlin ist jenseits der Strandregionen die Topsommerlocation. Und zwar eine, die sich auch ohne dickes Portemonnaie erleben lässt.

Wo sonst gibt es so viele Seen im Stadtgebiet, in denen sich in sauberem Wasser schwimmen lässt? In Köln, Dresden, Dortmund und zig anderen Städten wäre man froh, wenn sie nur einen dieser Seen hätten. Gerade mal 28 Minuten sind es mit der S-Bahn vom Potsdamer Platz bis zum Schlachtensee, wo der Zug fast direkt am Seeufer hält. Mag es am Ufer voll sein, es findet sich immer noch ein Plätzchen. Und einmal im Wasser, verteilen sich Masse, Boote und die neumodischen Stehpaddler ohnehin. Und das Schönste ist: alles für umme statt für 5,50 Euro im nicht weit entfernten Strandbad Wannsee. Gut, da gibt es noch Ostseesand obendrauf, aber man kann ja nicht alles haben.

Obwohl, stimmt gar nicht, den Sand gibt es ja beim Beach­volleyballern, das auch für kleines Geld auf vielen Plätzen zu haben ist, etwa auf den großen Anlagen am Nordbahnhof oder am Gleisdreieck. Ab zwölf Euro kostet ein Platz in der Regel pro Stunde, macht drei Euro pro Spieler.

Open-Air-Theater, mehr Freiluftkinos als anderswo und als Alternative zum Vier-Euro-Bier in Strandbars viel kostenlose Uferfläche fürs Picknick mit dem Sterni für 62 Cent vom Späti. An der Monbijoubrücke gibt es Buenos-Aires-Flair, weil da regelmäßig Tango angesagt ist, der diese Woche überdacht auch im Hauptbahnhof zu sehen war. Und auch das nicht nur für den großen Geldbeutel: Um vier Euro in die DJ-Box werden die Tänzer einmalig gebeten.

Ob schwimmen, beachen oder tanzen – Gerd, bleib doch noch ein bisschen! Stefan Alberti

Männer demütigen Frauen

Burkiniwahnsinn

In der Debatte über Burkini und Burka geht es nicht um Religion

Es ist ein Bild, das Brechreiz auslöst, und das Ereignis, das es dokumentiert, noch mehr: Vier Männer umringen eine Frau und zwingen diese, sich auszuziehen. Die Frau trägt einen schwarz-blauen Burkini, also einen den ganzen Körper und die Haare bedeckenden Badeanzug. Die Männer tragen schwarz-blaue Hemden und ­Hosen – und Pistolen. Auf ihren Rücken steht „Police“.

Polizisten als Antänzer? Keineswegs. Die Männer sind keine kriminellen Nordafrikaner, sondern französische Gesetzes­hüter, und erfüllen ihre Pflicht.

Das spielte sich Anfang der Woche an einem Strand in Frankreich ab, wo der Burkini mittlerweile vielerorts verboten ist. Das ist in Berlin glücklicherweise – noch – anders. Als kürzlich ein Brandenburger Schwimmbad Burkiniträgerinnen der Halle verwies, beeilte sich der Berliner-Bäder-Sprecher zu versichern, das dies in der Hauptstadt nicht passieren werde.

Berlin – multikulturell und tolerant – hat also kein Problem mit Verschleierung? Das sehen offenbar manche anders, deshalb demonstrierten Donnerstagabend Dutzende BerlinerInnen prophylaktisch vor der französischen Botschaft gegen das Burkiniverbot. Organisiert hatte die Demo Armin Langer von der Initiative Salaam-Schalom für jüdisch-muslimischen Dialog.

Es ist reine Vermutung, dass es dem angehenden Rabbiner dabei vor allem um Verteidigung der Religionsfreiheit geht. Das wäre ehrenwert. Fragen muss man aber: Geht es denn in der Debatte über Burkini und Burka eigentlich wirklich um Religion? Die Antwort lautet eindeutig: Nein. Denn wäre es so, dann müsste ja auch mal über äußere Merkmale religiöser Männer geredet werden, über zulässige Bartlängen etwa.

Was das Foto aus Frankreich zeigt, ist eine wohl jahrtausendealte klassische Demütigung, vollzogen von Männern gegen Frauen. Oder kann sich jemand ein Bild vorstellen, auf dem vier Polizistinnen einen bärtigen Mann zwingen, ein Bier auszutrinken? Sie würden wohl gleich vor Gericht stehen.

Eines steht fest: Man mag Burkini, Kopftuch, religiös begründete Gesichtsverschleierung finden, wie man will, und darf darüber heftig diskutieren.

Aber Männer haben Frauen nicht vorzuschreiben, was diese an- oder ausziehen sollten.

Alke Wierth