Gericht verurteilt ehemalige Militärs zu lebenslanger Haft

Argentinien Soldaten werden wegen Menschen-
rechtsverbrechen auch vor der Diktatur bestraft

„Gericht hat Staatsterrorismus vor der Diktatur anerkannt“

Staatsanwalt Facundo Trotta

BUENOS AIREStaz| Argentiniens Justiz schreibt weiter Geschichte. Wurden bisher ehemalige Militärs und Polizisten wegen Menschenrechtsverbrechen während der Diktatur von 1976 bis 1983 verurteilt, so sind nun erstmals auch Menschenrechtsverletzungen aus der Zeit davor als solche bestraft worden. Ein ehemaliger General und 27 weitere Militärs erhielten lebenslange Haftstrafen. „Zum ersten Mal hat ein Gericht die Existenz des Staatsterrorismus vor der Diktatur anerkannt“, unterstrich Staatsanwalt Facundo Trotta.

Im Prozess ging es um die Verbrechen in den geheimen Folter- und Gefangenenlagern La Perla, Campo la Ribera und im D2 in den Jahren 1975 bis 1979. Das berüchtigtste Lager war La Perla, rund 15 Kilometer von der zentralargentinischen Stadt Córdoba entfernt. Dort verschwanden nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen rund 2.300 Menschen.

Etwa 10.000 Menschen hatten sich vor der Urteilsverkündung im Prozess „Megacausa La Perla“ Ende vergangener Woche vor dem Gerichtsgebäude in Córdoba versammelt. Und sie jubelten, als sie erfuhren, dass 28 der 43 angeklagten ehemaligen Militärs und Polizisten eine lebenslange Haftstrafe erhielten. Zehn weitere wurden zu Gefängnisstrafen zwischen 2 und 14 Jahren verurteilt, fünf Angeklagte wurden freigesprochen. Prominentester Angeklagter war der ehemalige General Luciano Benjamín Menéndez.

„Jetzt besteht die Möglichkeit, über die Menschenrechtsverbrechen juristisch zu urteilen, die vor dem Putsch begangen wurden, und zugleich kann die Verantwortung der damaligen Regierung von Präsidentin Isabel Perón geklärt werden“, so Staatsanwalt Trotta. Die Urteilsbegründung wird am 14. Oktober verkündet. Das Gericht hatte einen Antrag der Verteidiger auf die Verjährung von Straftaten vor der Machtübernahme der Militärs abgelehnt.

Als Vizepräsidentin hatte Juan Domingo Peróns zweite Frau, María Estela Martínez de Perón, kurz Isabel, nach dessen Tod 1974 das Präsidentenamt übernommen. Sie ging mit den konservativen und militärischen Kräften einen Pakt ein und beauftragte paramilitärische Gruppen wie die Antikommunistische Allianz Argentiniens (AAA, bekannt als Triple A) mit der Vernichtung politischer Widerstandsgruppen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wurden während ihrer Regierungszeit mehr als 3.500 Menschen ermordet oder verschwanden spurlos.

Dennoch hielten Militärs sie für zu schwach, die Ordnung in ihrem Sinn aufrechtzuerhalten. Am 24. März 1976 wurde sie von ihnen aus dem Amt geputscht.

Zu Prozessbeginn im Dezember 2012 saßen 58 Beschuldigte auf der Anklagebank. Elf von ihnen starben vor dem Richterspruch, vier wurden aus Gesundheitsgründen ausgenommen. Die verbleibenden 43 mussten sich wegen einer langen Liste von Straftaten, begangen an 716 Personen, verantworten – darunter Mord, Raub von Neugeborenen und Folter.

Die Mehrzahl der Opfer war in politischen Organisationen, Gewerkschaften, Studentengruppen oder Nachbarschaftsvereinen aktiv. 365 Menschen sind verschwunden und vermutlich ermordet worden. Bisher wurden nur 46 Leichen gefunden und nur 8 von ihnen identifiziert. Jürgen Vogt