„Müller wirklich loben können Grüne und Linke nicht – dann bräuchten die Wähler ja nicht für sie zu stimmen“

Das bleibt von der Woche Das Spitzenpersonal der großen Parteien beharkt sich ausgiebig in der rbb-Kandidatenrunde, der Flüchtlingsrat feiert sein Jubiläum mit einem unpräzisen Forderungskatalog, der Spätsommer sprengt alle Rekorde, und Sasha Waltz wird eine Art Außenministerin der freien Szene

Grüne und Linke in der Zwickmühle

rbb-Kandidatenrunde

Und die wollen gut zusammenarbeiten? Wer zuschaute, konnte daran zweifeln

Und die wollen gut zusammenarbeiten? Wer am Dienstag der rbb-Kandidatenrunde zur Wahl zuschaute, konnte daran zweifeln. Was schon eher eine Beschönigung ist für: Die werden sich ja nur zoffen. Es geht um eine künftige rot-rot-grüne Koalition, die nach der jüngsten Umfrage vom Donnerstag die einzig mögliche realistische Koalition jenseits der AfD ist.

Auch in der letzten Parlamentssitzung vor der Wahl fetzte sich Rot-Rot-Grün am Donnerstag mindestens genauso wie die aktuelle rot-schwarze Koalition. Klientelpolitik warf SPD-Spitzenkandidat und Regierungschef Michael Müller den Grünen vor, fehlende Demut dem Linksparteichef Klaus Lederer – nachdem beide den SPD-Mann mächtig attackiert hatten.

Grüne und Linke sind in einer echten Zwickmühle. Natürlich wollen sie mit Müller koalieren. Aber ihn wirklich loben können sie nicht – dann bräuchten die Wähler ja nicht für sie zu stimmen. Also ein Mittelweg? Geht schlecht. Da taucht schnell der Vorwurf auf, man habe Beißhemmung und werde seiner (Noch-)Oppositionsrolle nicht gerecht. Bleibt nur, Koalitionen erst mal ganz nach hinten stellen, sein eigenes Ding zu machen und darauf zu hoffen, dass dabei im Verhältnis zu den absehbaren Regierungspartnern nicht allzu tiefe Verletzungen entstehen.

Wobei die Grünen sich zwischenzeitlich, als sie nur zwei Prozentpunkte hinter der SPD lagen, sogar Hoffnungen auf den Wahlsieg machen konnten. Doch in der jüngsten Umfrage von Freitag sieht das nüchterner aus. Da liegen die Grünen mit 15 Prozent sogar noch unter ihrem Rekordergebnis von 2011.

Trotzdem müssen die Grünen zumindest nach aktuellem Umfragestand nicht befürchten, die SPD so zu vergrätzen, dass sie wieder außen vor bleiben wie 2001, 2006 und 2011. Müller hat nämlich keine Alternative – selbst eine „Deutschlandkoalition“ mit CDU und FDP hätte nach jetzigem Stand keine Mehrheit. Ausreizen sollten Grüne und Linke das trotzdem nicht: Eine Koalition zu bilden ist das eine, in ihr über fünf Jahre zusammenzuarbeiten das andere. Stefan Alberti

Jetzt noch schärfere Zähne zeigen

35 Jahre Flüchtlingsrat

Die Finanzausstattung, zu der der Senat kaum beiträgt, ist stets zu knapp

Der Berliner Flüchtlingsrat feierte diese Woche seinen 35. Geburtstag – und verdient einen herzlichen Dank und eine aufrichtige Gratulation. Das Gremium, in dem Flüchtlingsinitiativen und -beratungsstellen, Wohlfahrtsorganisationen, Kirchen und Einzelpersonen engagierte und überwiegend ehrenamtliche Arbeit leisten, hat in den vergangenen Jahren viel für Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Berlin getan. Vieles davon von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen im Hintergrund und alles trotz einer stets zu knappen Finanzausstattung, zu der der Berliner Senat übrigens kaum beiträgt.

Umso mehr Beifall und Lob verdienen die im Flüchtlingsrat Tätigen: kompetente Fachfrauen und -männer in Sachen Flüchtlingspolitik und -gesetzgebung, die nicht nur Geflüchteten, ihren Helfern und SozialarbeiterInnen, sondern auch PolitikerInnen und uns JournalistInnen oft und gern mit Rat und Infos zur Seite stehen.

Doch auch Kritik muss zu dem durchaus erwachsenen Geburtstag erlaubt sein. Denn wohl wegen seiner Fach- und Detailkompetenz steht sich das wichtige Gremium manchmal selbst im Weg. Der Katalog der Forderungen an die Landesregierung, den der Rat anlässlich seines Geburtstags veröffentlichte, umfasst sieben Seiten – in der zusammengefassten Kurzversion. Da ging es vom wichtigen Ruf nach mehr sozialem Wohnungsneubau über die Kennzeichnungspflicht von SicherheitsmitarbeiterInnen in Flüchtlingsheimen und die bessere Prüfung der Qualifikation von HeimmitarbeiterInnen bis zur Forderung nach mehr Einflussnahme Berlins in der Bundesflüchtlingspolitik.

Das alles ist wichtig und richtig und zeigt lückenlos auf, was in Berlin alles im Argen liegt. Doch Unterstützer-, gar MitstreiterInnen findet man mit solchen Rundumschlägen schwer. Da wären präzisere Prioritäten viel hilfreicher. Alke Wierth

Begegnung
mit
Loch Ness

Sommer-Nachschlag

Sogar die Bademeister ziehen sich jetzt aus. Eigentlich haben sie Shirt-Zwang

Dienstagabend am Schlachtensee: Im glitzernden Wasser ziehen zwei Schwimmer ihre Bahn. Eine Frau, sie trägt einen Bikini und hat eine Schwimmbrille auf. Ein Mann im schwarzen Neoprenanzug, Taucherbrille und gelber Kappe. Die Frau kommt aus östlicher Richtung, schwimmt auf dem Rücken, mit weit ausholenden Armbewegungen rudert sie durchs Wasser. Der Mann kommt von Westen, schnell und kraftvoll krault er voran. Außer den beiden ist kein Mensch im Wasser.

Der Sommer gibt einen Nachschlag. 28 Grad und mehr zeigt das Thermometer. Die Sonne brennt nicht mehr, das Licht ist warm. Es wirkt wie ein Weichzeichner. Bis weit in die nächste Woche hinein soll es so bleiben. Mehrere Freibäder haben deshalb ihre Öffnungszeiten verlängert. Sogar die Bademeister ziehen sich jetzt aus. Eigentlich haben sie Shirt-Zwang. Ohne Hemd spazieren sie nun um die Becken und bräunen ihre muskulösen Oberkörper.

Selbst die Seen locken mit Wassertemperaturen von über 20 Grad. Und auch in freier Wildbahn kommt es zu unerwarteten Begegnungen. Dunkelgrün ist das Wasser des Schlachtensees. Da hilft auch die Schwimmbrille nicht, zumal, wenn man auf dem Rücken schwimmt. Die Frau schaut sich nicht um, denn sie wähnt sich völlig allein. Auch dem Mann geht es so. Denn der See ist breit. Doch wie magisch angezogen halten die beiden genau aufeinander zu. Näher und näher kommen sie sich und wissen es nicht. Sie schwimmt immer noch auf dem Rücken. Er auf dem Bauch.

Plötzlich ein harter Schlag auf den Hinterkopf. Die Frau gerät ins Taumeln. Ehe sie weiß, wie ihr geschieht, sieht sie einen schwarzen Arm. Er greift nach ihr – so muss es sein, Loch Ness zu begegnen. Dann sieht sie den Schwimmer. Er bietet ihr Stütze an.

Kannst du nicht aufpassen, du Depp!? Der Schreck hat gesessen. Aber ist ja nichts passiert. Man vergewissert sich und schwimmt weiter. Jeder in seine Richtung. Auch die Frau schwimmt nun vorwärts, schaut öfters mal auf.

In den Freibädern gibt es solche Überraschungen nicht – zumindest auf den geleinten Bahnen. Da schwimmen alle in die gleiche Richtung.

Der Crash im Schlachtensee war längst vergessen, als der Frau am nächsten Morgen im Spiegel ein blaues Auge entgegenblickt. Sie hatte überhaupt keinen Schmerz verspürt. Was, wann, wie, wo? Dann schießt es ihr heiß durch den Kopf. Loch Ness! Er hat ihr die Schwimmbrille auf Auge gedrückt. Plutonia Plarre

Von der freien Szene zum Staatsballett

Waltz wird Ko-Intendantin

Eine Überraschung ist das alles nicht, eine Grundsatz-Entscheidung schon

Es gibt Künstler, die sich neu erfinden und trotzdem treu bleiben. Dazu gehört Sasha Waltz. Ab 2019 wird sie, so gab es am Mittwoch der Regierende Bürgermeister Michael Müller bekannt, Ko-Intendantin des Staatsballetts Berlin. Eine Überraschung ist das nicht, schließlich war sie schon 2013 im Gespräch; eine Grundsatzentscheidung schon – für beide Seiten.

Als die in Karlsruhe aufgewachsene Tänzerchoreografin 1993 über Amsterdam und New York nach Berlin kam, muss sie mit ihrem punkig-rockigen Schick und ihrer Anpack-Energie gut zur rauen Postwendestadt gepasst haben. Ihr erstes großes Erfolgsstück ist nach der Marzahner Hauptverkehrsstraße „Allee der Kosmonauten“ benannt. Das war Slapstick-gespeiste tänzerische Sozialreportage zu einer Zeit, als sich noch kein Mietflüchtling dorthin verirrte. Gespielt wurde das Stück zur Eröffnung der Sophiensæle. Das Theater, das heute einer der wichtigsten Spielorte der Freien Szene ist, haben Sasha Waltz und ihr Mann Jochen Sandig mitbegründet.

Ohne das Paar sähe die Berliner Tanzlandschaft heute ganz sicher anders aus. Bereits 1993 hatten sie die Kompanie Sasha Waltz & Guests aus der Taufe gehoben, über Strecken die einzige freie Tanzkompanie Berlins, die ihre Tänzer*innen fest an sich binden und ein Monatsgehalt zahlen konnte. Weitere gemeinsame Stationen waren die Schaubühne und ab 2005 der von Sandig entdeckte heutige Arbeitsort, das Radialsystem V, gleich hinterm Ostbahnhof, am Spreeufer. Ein selbst gemachtes und selbst finanziertes Raumparadies mit Wasser- und Himmelsblick.

Bei all dem Gang durch die Instanzen, bei all den dazugehörigen Finanzierungskämpfen blieb Waltz’ künstlerische Arbeit nie auf der Strecke. Aber sie wandelte sich stark. Auf eruptive, psychologische Stücke mit Tanzrethorik im Nähmaschinentakt folgte eine kontemplativere Phase mit der zentralen „Körper“-Trilogie, darauf die Erfindung der „Choreografischen Oper“.

Durch die Oper stieß Waltz dann auf das Ballett. Damit machte sie einen Schritt, der sie aus dem Kontext, in dem sie bis dahin wahrgenommen wurde, löste. Seitdem war sie nur noch Sasha Waltz, kein Aushängeschild mehr der freien zeitgenössischen Tanzszene.

Paradoxerweise könnte sich das gerade durch ihre Berufung ans Staatsballett wieder ändern. „Vielleicht ist das ein Zeichen dafür, dass die gläserne Decke langsam porös wird“, so formuliert es Christophe Knoch, Sprecher der Koalition der Freien Szene, erfreut am Rande der Pressekonferenz im Roten Rathaus. Die gläserne Decke, das ist die kulturpolitische Ebene, die Berliner Künstler*innen, die in der Stadt etwas bewegen, den Weg nach ganz oben verhängt. Sasha Waltz bricht durch. Astrid Kaminski