Langeweile? Hör auf die Harmonie in deinem Kopf

Punk „I’m living in this movie, but it doesn’t move me“: Im SO36 spielten am Donnerstagabend die Buzzcocks, eine der ersten britischen Punkbands

Wirklich faszinierend, wie viel Verachtung, wie viel Angeätztsein, wie viel jugendliche Chuzpe man in ein einziges Wort, bestehend aus sieben Buchstaben, legen kann. „Boredom“ heißt das Wort, „Boredom“ heißt auch das Lied der britischen Punkband Buzzcocks, und 40 Jahre, nachdem es geschrieben wurde, beginnt die Band um Sänger und Gitarrist Pete Shelley im SO36 ihr Set am Donnerstagabend mit diesem Song.

Blitzartig, mit den ersten hüpfenden Mittvierzigern und den schwitzenden Teenies mit kurzen zotteligen Haaren um einen herum, wird klar, dass diese Songs nichts an Frische eingebüßt haben. Das liegt vor allem daran, dass Shelley, inzwischen 61 Jahre alt, Typ gemütlicher Frührentner mit Halbglatze und grauem Bart, mit einer Stimme gesegnet ist, die die Unbekümmertheit dieser Stücke immer noch transportieren kann.

„I’m living in this movie/ but it doesn’t move me“, singt Shelley in der zweiten Strophe, die Akkorde klettern simpel, minimalistisch von E auf G auf Bb, und während dieser Vers in der Schriftsprache wie ein braver Reim daherkommt, klingt er phonetisch wie eine fiese Attacke, die schließlich in die Generalanklage mündet: „Boredom“. Uns ist langweilig, und ihr seid Schuld.

So pointiert haben das im Jahr 1976, als Shelley und Howard Devoto, Sänger in der Frühphase der Band, die Buzzcocks in Bolton/Manchester gründeten, eigentlich nur die Sex Pistols, The Damned oder The Clash hinbekommen. „Spiral Scratch“, die Single, auf der neben „Boredom“ auch die Klassiker „Time’s Up“ (das folgte später) und „Breakdown“ versammelt sind, war eine der ersten Veröffentlichungen überhaupt, die man als „Punk“ labelte.

Nun feiert nicht nur diese Subkultur offiziell 40. Geburtstag (wäre Punk eine reale Figur, würde er/sie/es wohl auf solche Jubiläen scheißen), sondern auch die Buzzcocks absolvieren eine „40th Anniversary“-Tour. In den frühen Achtzigern aufgelöst, kehrten sie 1989 zurück und traten fortan immer mal wieder in Erscheinung.

So rasant, wie das Konzert im vollen Saal beginnt, bleibt es nicht durchgehend, es gibt auch Atempausen in der Geschichtsstunde. Der Gitarrensound klingt voll, wuchtig, fast ein bisschen zu glatt für so manche runter gerotzte Nummer. Aber vor allem die beiden Buzzcocks-Urgesteine Shelley und Steve Diggle, zweiter Gitarrist und Sänger, versprühen extrem viel Lust auf die Aahs und Oohs und den hymnischen Punk, für den die Buzzcocks stehen. Auch Drummer Danny Farrant und Basser Chris Remington machen einen guten Job. Für das Publikum, zum Großteil zwischen 17 und 70, wirkt ihre Begeisterung ansteckend.

Hört man Songs wie „Sick City Sometimes“ oder „What ever happpened to?“ heute, fällt zum einen auf, dass die Buzzcocks die Kunst der Reduktion, die Punk auch war, bis heute extrem gut beherrschen. Und dann waren sie auch stilprägend für jenen Pop-Punk, der später im Mainstream und im Stadion ankam.

Während man im Mittelteil des Konzerts beschwingt hin- und hertänzeln konnte und einige Songs auch zu sehr in die Länge gezerrt wurden (ein guter Buzzcocks-Song braucht wirklich nur zwei Minuten), folgt mit der Zugabe eine Leistungsschau. Hintereinander weg spielen die vier Herren da „Orgasm Addict“, den Jahrhundert-Song „Ever fallen in Love“ und „Harmony in my Head“. Dann ist Schluss. Die Harmonie ist in den Köpfen angekommen.

Zur Aftershow-Party geht es derart harmonisiert noch ins Wild At Heart, wo die Berliner Band The Twitchblades ein knackiges halbstündiges Set spielt. Das Quartett, zu drei Viertel aus Frauen bestehend, macht mit mitreißendem wie choralem Ooh- und Aah-Punk weiter. Mancherorts ist Punk mit 40 wirklich ein Best Ager.

Jens Uthoff