Ach du lieber Gott: 6.000 gegen Abtreibungsrecht

FundamentalismusAbtreibungsgegner demonstrieren weitgehend ungestört in Berlin

Demonstration in traditionellem Gewand Foto: Paul Zinken/ dpa

BERLIN taz | Über die Spree ist kein Durchkommen. Die Polizei hat die Brücke gesperrt, an der Absperrung stehen Passanten und diskutieren mit den Beamten. Eine Schauspielerin, die zu ihrer Probe im Berliner Ensemble will, eine Touristengruppe, die zu ihrer Spreerundfahrt möche: Sie müssen sich erklären, Belege vorzeigen, sich ausweisen. Ein großer Teil von Berlin-Mitte ist dicht am Samstagnachmittag. Der Grund: Hier führt heute der sogenannte „Marsch für das Leben vorbei“, eine Demonstration für ein generelles Abtreibungsverbot, gegen Sterbehilfe und pränatale Diagnostik. 6.000 TeilnehmerInnen, die meisten mit weißen Holzkreuzen in der Hand, sind laut Polizei dem Aufruf des Bundesverbands Lebensrecht gefolgt.

Im letzten Jahr waren die TeilnehmerInnen des Marsches, die sich selbst „Lebensschützer“ nennen und überwiegend einen christlich-fundamentalistischen Hintergrund haben, fast zwei Stunden von linken GegenprotestlerInnen blockiert worden. Deswegen dieses Mal die rigorose Abriegelung: Die Polizei will verhindern, dass Gegen­demonstrantInnen auf die Route gelangen. Das gelingt ihr auch weitestgehend, nur vereinzelt schaffen es Grüppchen von GegendemonstrantInnen, direkt an den Marsch heranzukommen. „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“, rufen sie den MarschteilnehmerInnen entgegen, von denen ihnen einige ihre Holzkreuze und Rosenkränze entgegenstrecken, als könnten sie damit einen bösen Zauber abwehren.

Zuvor hatten rund 1.500 TeilnehmerInnen an einer Gegendemo teilgenommen. Organisiert wurden die Proteste vom Bündnis „What the fuck“, das vor allem aus queerfeministischen und antifaschistischen Gruppen besteht. Parallel fand außerdem eine Kundgebung des Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung statt, in dem etwa die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes vertreten ist.

Unter den TeilnehmerInnen des Marsches, in diesem Jahr auch auffällig viele jüngere und weibliche Personen, gibt es für die Gegenproteste kein Verständnis: „Die wissen gar nicht, wofür wir stehen, das ist nur blinder Protest“, sagt ein älterer Herr milde lächelnd. Er kommt aus einer evangelischen Kirchengemeinde in der Lüneburger Heide und ist wie die meisten anderen TeilnehmerInnen extra für den Marsch angereist. Er ist sich sicher, auf der richtigen Seite zu stehen: „Ein Leben wegzuwerfen, das kann nicht sein, das darf auch ich als Mann so sagen.“ Zu Hause in seiner Gemeinde sei er mit seiner Unterstützung der Lebensschutzbewegung noch recht allein, erzählt er. Kein Wunder: Die evangelische Landeskirche hatte sich am Samstag in einer Pressemitteilung von dem Marsch distanziert.

Der katholische Erzbischof von Berlin nahm erstmalig an dem Marsch teil

Der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, nahm hingegen erstmalig an dem Marsch teil. Die Berliner AfD-Vorsitzende und EU-Parlamentarierin Beatrix von Storch gehörte erneut zu den TeilnehmerInnen, der Berliner AfD-Landesverband äußerte sich nicht zu den Protesten.Malene Gürgen