Kaffee, Magazine und ganz viel Zeit zum Lesen

LIEBE zum Print Die junge Journalistin Sara Lisa Schäubli erfüllt sich in Hamburg einen Traum und eröffnet einen Laden nur für Magazine – erst einmal nur für zwei Monate, aber sie hofft auf eine Verlängerung. Die Miete finanziert sie über Crowdfunding

Will zwei Monate lang Zeitschriften verkaufen, statt selbst zu schreiben: Sara Lisa Schäubli Foto: Miguel Ferraz

Von Frank Keil

Bis zwei Uhr in der Nacht war sie neulich wach. Fand sich vor dem Bildschirm wieder, wie sie Internetseiten in Sachen Kaffee an- und wegklickte. Welche Kaffeesorten gibt es in welchen Mengen zu welchen Preisen? Was kostet Filterpapier in welcher Größe? Denn es soll Richtung Filterkaffee gehen, händisch aufgegossen, ohne einen schnöden Automaten, der vor sich hin röhrt. Und so rechnete Sara Lisa Schäubli: Was würde sich noch lohnen? Und ab wann wird es zu teuer und damit unrentabel?

Schäubli ist Journalistin, 27 Jahre alt – und sie ist dabei einen Traum zu realisieren: einen Laden für Magazine in der Weidenallee, einer Ausläuferstraße des Hamburger Schanzenviertels. Sie will ihn ABC-Magazin-Laden nennen und dort Print-Magazine verkaufen – und zwar solche, die es nicht in fünf- oder sechsstelliger Auflage gibt und hinter denen keine mächtigen Medienunternehmen stehen. Sie hat Magazine im Blick, die liebevoll daherkommen, selbst wenn sie nach Feierabend gemacht werden. Die Auflagen: 10.000 Stück. Eher 5.000 Stück, also 1.000 Stück – oder auch nur 500.

Es soll kein Kiosk werden, in dem man sich hastig, ohne seine Tasche abzusetzen, eine Illustrierte greift und dann schnell weiter hetzt. Schäubli will einen Laden, in dem man hinter sich die Tür zuzieht. Wo man bleibt. Wo man sich also eher früher als später hinsetzt. Und wo man liest. Und liest. Und liest. Und einen Kaffee bekommt.

Der Laden ist ein Projekt. Zwei Monate lang soll es laufen. Am ersten Oktober ist die Eröffnung. Eigentlich wollte sie während der zwei Monate weiterhin ihren Job als Redakteurin ausüben, aber dieser Vorsatz war schnell vom Tisch. Wenn sie den Laden mache, dann ganz, sagt Schäubli. Und das macht sie jetzt.

Geboren und aufgewachsen ist die 27-Jährige in der Schweiz und zwar in Zürich. Schäubli ging dort zur Schule, studierte um die Ecke in Winterthur Journalismus. Über sich selbst sagt sie, dass sie ein bisschen altmodisch sei. „Ich fotografiere lieber mit meiner analogen Kamera als mit meinem Smartphone.“ Die Zeit, die es braucht, bis ein Foto sichtbar wird, diese Langsamkeit, findet sie wunderbar. Doch im Studium war das Tempo schneller: „Es hieß ständig, ihr müsst alles können – schreiben, texten, fotografieren, filmen, die Kanäle der sozialen Medien bedienen und das möglichst gleichzeitig – das hat mich ziemlich abgetörnt“, sagt sie.

„Ich bewundere Spezialisten; Mathematiker, die in ihrem Feld aufgehen.“ Sie selbst sei eine Generalistin und hadere damit. „Ich wäre gern anders“, sagt sie. Als die Idee eines Magazin-Ladens langsam in ihr reifte und in der Vorstellung Form annahm, wurde ihr klar: „Alles, was ich sonst so denke, kam da zusammen.“ Dass sie Generalistin sei, habe plötzlich Sinn gemacht.

Trotzdem blieb die Umsetzung eine Herausforderung, denn sie ist mit dem Projekt alleine. „Eigentlich ist der Aufwand so eines Ladens nicht für eine Person gedacht“, sagt sie. Zwar läge nun aller Aufwand und alle Verantwortung bei ihr, aber Schäubli sieht auch Vorteile in ihrer Unabhängigkeit: Es quatsche einem niemand rein.

Nun ist es also ihr Laden, ihr Angebot: Sie verkauft Zeitschriften wie das konsumkritissche Gesellschaftsmagazinagazin Shift, das Weinmagazin Schluck, Reportagemagazine oder das feministische Missy Magazine. Zum Sortiment wird Das Wetter gehören, das Magazin Die Epilog und das Politikmagazin Kater Demos, dessen Verleger ihr schrieb, dieses Magazin sei sein sehr teures Hobby.

Einige der Hefte werden aus der Schweiz kommen. Wie Transhelvetica, das sich mit Reisen in Schäublis Herkunftsland beschäftigt – nur mit der Schweiz. „Sehr sorgfältig gemacht, mit kleinen Landkarten zu jedem Bericht und mega schön fotografiert“, sagt die Unternehmerin. „Und wenn jemand sagt ‚Ich lese die Gala, dann habe ich zwar nicht die Gala im Regal liegen, aber eben ein anderes Gesellschaftsmagazin, das ich vorschlagen werde.“

Und noch in anderen Dingen unterscheidet sich Schäublis Laden von gewöhnlichen Kiosken: Sie will eine Art Leseflatrate anbieten. Kunden müssen dann keine Magazine kaufen, um sie zu lesen, sondern man zahlt eine Gebühr und dann setzt man sich hin und liest, was man mal ausprobieren will – bis eine Eieruhr klingelt. „Die Leute müssen dann keine Angst haben, dass sie ein Eselsohr reinknicken oder einen Kaffeefleck auf dem Papier hinterlassen.“

Das Prinzip soll funktionieren wie eine Parkuhr. Nur was die Stunde kostet, weiß Schäubli noch nicht. Aber auch bei der Bezahlung hat die Schweizerin kreative Ideen. Die Kunden könnten selbst bestimmen, was sie für die Lesestunde und den begleitenden Kaffee zahlen wollen. Also, was es ihnen wert ist.

„Am Anfang war ich in Panik und dachte, ich müsste nun alle Magazine kennen“, sagt sie. Das habe sich jedoch schnell gelegt. Hundert Magazine waren zwischendurch als Sortiment geplant. Jetzt ist sie bei 80 angelangt, keine leichte Wahl.

Durchgerechnet hat Schäubli nicht, wie viel Gewinn sie pro Kunde machen muss. Darum gehe es bei dem Projekt nicht

Lange hat Schäubli überlegt, wie sie es etwa mit dem Wirtschaftsmagazin Brand eins halten soll. Ein tolles Magazin, das ist für die Ladenbesitzerin keine Frage. Aber das doch so bekannt ist, dass es das in wirklich jedem Zeitschriftenkiosk gibt. Doch zugleich stehe es für einen engagierten Journalismus, sagt sie. Jetzt steht Brand eins neben Enorm, das viel über Ökologie und Ökonomie berichtet und Impulse, einem Magazin für Unternehmer.

Zur Umsetzung ihres Projekts hat sich Schäubli Unterstützung gesucht. 9.000 Euro hat sie via Crowdfunding für ihren Laden eingesammelt. Damit zahlt sie den größten Teil der Ladenmiete und all die Magazine, deren Bestand sie vorfinanzieren muss. Es soll ja nicht nur jeweils ein Heft in den Regalen liegen. Ein Gehalt oder irgendeine Art von magerer Entlohnung ist bisher nicht enthalten.

Ein bisschen nervös hat sie erst der Besuch ihres Versicherungsvertreters gemacht: „Der fragte mich, ob ich schon durchgezählt hätte, was für einen Umsatz pro Kunde ich erwarte.“

Hatte sie nicht. Durchgezählt. Wirklich nicht. Und sie sagte ihm mit fester Stimme, dass es genau darum in den zwei Monaten nicht gehe. Sondern darum, eine Idee auszutesten, einen Traum zu realisieren. Den sie nie in Zürich verwirklicht hätte, aber in Hamburg, da ginge das. Wohin es sie übrigens der Liebe wegen verschlagen hat.

Und wenn nach zwei Monaten in der Weidenallee Schluss ist, weil der Laden dann bereits anderweitig vermietet ist, heiße das nicht, dass es nicht an einem anderen Ort weitergehen könne. „Was toll wäre, wenn in den zwei Monaten eine Art Netzwerk aus Lesern, aus Journalisten und aus Magazinfans entsteht und dann jemand von einem Raum erzählt, der ins Konzept passt und der finanzierbar ist.“ Und dann wird es in die nächste Runde gehen. Das wäre genau ihr Ding.

ABC-Magazin-Laden: Weidenallee 61, Hamburg; Eröffnung: Samstag, 1. Oktober, 18 Uhr. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 11 bis 19 Uhr; Samstags 10 bis 17 Uhr