Fotografierte Mentalitätsgeschichte

ZEITGEISTINDIKATOR MODE Mit „F.C. Gundlach. Das fotografische Werk“ zeigt der Martin-Gropius-Bau eine sehenswerte und überraschungsreiche Retrospektive von Deutschlands lange Zeit erfolgreichstem Modefotografen

Die reduzierte Mode der sechziger Jahre hat ihn zu einigen seiner stärksten Arbeiten inspiriert

VON ACHIM DRUCKS

Op-Art-Fashion in der ägyptischen Wüste: zwei Models im Profil, auf dem Kopf absurde „Badekappen im Rennfahrerstil mit weißen Blenden und Kinnband“, so der Begleittext zu der 1966 entstandenen Aufnahme. F.C. Gundlach hat das modische Duo ganz in den Vordergrund seiner Fotografie gerückt, dahinter nur ein heller Streifen Sand und eine in den wolkenlosen Himmel ragende Pyramide – zwei Kreise vor einem Dreieck. Das klar strukturierte, prägnante Bild veranschaulicht, warum Gundlach lange Zeit Deutschlands erfolgreichster Modefotograf war. Er verbindet reduzierte Formen und kühle Eleganz mit originellen Bilderfindungen, um den aktuellen Look optimal zu transportieren. Zugleich inszeniert er ein zeitloses Motiv.

Die ganze Laufbahn des 1926 geborenen Fotografen dokumentiert jetzt eine umfassende Werkschau im Martin-Gropius-Bau: 350 Exponate – größtenteils Vintage Prints, ergänzt von Magazin-Covern und originalen Bildstrecken aus den beiden wichtigsten Zeitschriften, für die er gearbeitet hat: Film und Frau und Brigitte. Außerdem ist eine Auswahl seiner Reisereportagen und Porträts von Stars wie Romy Schneider zu sehen. Gundlachs frühe, 1951 in Paris entstandenen Nachtaufnahmen erinnern an die melancholischen Bilder eines anderen, fast gleichaltrigen Deutschen, der dort zur selben Zeit unterwegs ist – Herbert Tobias. Beide beginnen hier ihre Karriere als Modefotograf. Beide kehren nach Deutschland zurück, um die Modeträume der Wirtschaftswunderära in Szene zu setzen. Doch während Tobias sich immer stärker als Künstler begreift und schließlich in den Sechzigern mit der kommerziellen Fotografie bricht, wird Gundlach zur kreativen Fleißbiene: Für Film und Frau realisiert er von 1953 bis 1966 mehr als 100 Titelbilder und über 2.500 Modeseiten. Mit der Brigitte verbindet ihn seit 1966 ein Exklusivvertrag. Das Resultat: bis 1986 über 180 Cover und Mode auf 5.500 Seiten. Zudem entstehen zahlreiche Werbeaufnahmen für Falke oder die Lufthansa.

Es bedurfte gleich vier Kuratoren und mehrjähriger Vorbereitungen, um aus diesem immensen Bilderberg eine Ausstellung zu destillieren. Die Mühe hat sich gelohnt. Im 2. Stock des Martin-Gropius-Baus sieht man nicht nur viele grandiose Fotos, sondern kann gleichzeitig eine Reise durch drei Dekaden bundesrepublikanischer Mentalitätsgeschichte antreten.

„Mode ist immer ein Ausdruck von Zeitgeist, vielleicht sogar der beste Indikator“, erklärt Gundlach. So radikal wie Schnitte und Stoffe wandelt sich auch das Bild der Frau. Die Models der Fünfziger in ihren bodenlangen Roben und Ozelotmänteln erscheinen als aristokratische Wesen aus einem imaginären Reich distinguierter Eleganz. Etwas steif lehnen sie an Cabriolets und verkörpern eine mondäne Welt, die vom Alltag der meisten Leserinnen meilenweit entfernt war.

Im Laufe der Jahre werden die Posen natürlicher, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse geraten auch die Models mehr und mehr in Bewegung. Mode von der Stange statt Pariser Haute Couture, Helanca-Wirkfrottee statt Brokat oder Duchesse. Die elegante Dame unbestimmten Alters wird von der aktiven jungen Frau abgelöst. Gundlachs Aufnahmen demonstrieren eine neue Demokratisierung der Mode.

Je reduzierter die Inszenierung, desto wirkungsvoller die Fotos. In der 1962 entstandenen Strecke „Etüde in Helldunkel“ zeigt Gundlach „Liebreiz in strengem Rahmen“: Im schlichten Schwarzen posiert Judy Dent zwischen zwei weißen Papierlampen, deren geometrische Form an modernistische Skulpturen erinnern. Die beiden Leuchten erzeugen den Raum, ihre horizontalen Rippen bilden einen Kontrapunkt zu den diagonal verlaufenden Falten des Rocks. In anderen Studioaufnahmen rückt Gundlach Scheinwerfer, Kabel und Stativ ins Bild, um das Foto zu strukturieren – und weist so gleichzeitig auf die Künstlichkeit seiner Inszenierung hin. Die von Cardin und Courrèges beeinflusste reduzierte Mode der sechziger Jahre hat ihn zu einigen seiner stärksten Arbeiten inspiriert. Die häufig aus der Untersicht aufgenommenen Farbaufnahmen vor Pop-Art-Hintergründen fangen das Zeitkolorit der Swinging Sixties so perfekt ein, dass mit ihnen heute gern für Retro-Partys geworben wird.

Gundlach hat sich immer als Auftragsfotograf verstanden. Und natürlich erlaubte die Brigitte keine avantgardistischen Strecken, wie sie etwa Baily oder Bourdin für die Vogue produzierten. Schick, natürlich, adrett und vor allem bezahlbar – so sahen die Kleider aus, die hier gezeigt wurden. Barbara Buffa, die das Moderessort von 1957 bis 1981 leitete und den Look der bundesdeutschen Frau wie kaum jemand anders prägte, sprach vom „modischen Mittelweg“. Nicht gerade ideale Voraussetzungen für interessante Fotos. Dass F.C. Gundlach trotz dieser Beschränkungen so viele starke Bilder geschaffen hat, beweist, wie gut er ist.

Bis 14. März 2010, Martin-Gropius-Bau, Mi.–Mo., 10–20 Uhr, Stresemannstraße 110; Katalog (Steidl Verlag) 49,80 €