„Das war kein schöner Tag“

Verlierer I Die Hamburger Grünen-Politikerin Christa Goetsch wollte eine bessere Schule – und scheiterte an der Initiative „Wir wollen lernen“ aus den Elbvororten, die den Volksentscheid gewann

Christa Goetsch

Foto: Maja Hitij/dpa

64, pensionierte Lehrerin. 2002 bis 2008 war sie Chefin der Grünen-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, 2008 bis 2010 Schulsenatorin und Zweite Bürgermeisterin im schwarz-grünen Senat von Ole von Beust

taz: Frau Goetsch, am 18. Juli 2010 stoppte die Initiative „Wir wollen lernen“ mit ihrem Sieg bei einem Volksentscheid Ihre Pläne für eine Primarschule. Wie erinnern Sie sich daran?

Christa Goetsch: Immer noch sehr gut. Das war kein schöner Tag. Es gab eine über Wochen und Monate aufgeheizte Stimmung in der Stadt, die Spaltung der Gesellschaft wurde deutlich. Alle Umfragen sagten ein knappes Ergebnis voraus.

Sie und Ihre Partei, die Grünen, haben sich jahrelang und nachdrücklich für die direkte Demokratie eingesetzt. Ist dann so eine Niederlage besonders schmerzhaft?

Ja, das ist schon bitter, wenn es sich gegen einen selbst richtet. Aber dennoch ist die direkte Demokratie als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie richtig und sinnvoll. Das darf man nicht von einem Ergebnis abhängig machen, das einem nicht passte.

Aber an der Volksgesetzgebung sollte nicht gerüttelt werden?

Nein. Wenngleich ich der Meinung bin, dass die Quoren auf keinen Fall weiter gesenkt werden sollten. Bei der Abstimmung über das längere gemeinsame Lernen entschieden rund 267.000 von 1,3 Millionen Abstimmungsberechtigten sich dagegen, das ist schon sehr wenig.

Aber das ist das Wesen der Demokratie: Die Mehrheit entscheidet, und wer nicht abstimmt, kann auch nicht mitreden.

Stimmt. Aber in diesem Fall wurde ein einstimmiger Beschluss der Bürgerschaft – von Schwarz-Grün sowie SPD und Linkspartei gefasst – bekämpft. Das führt tendenziell zu einer Schwächung der Parlamente, ich bin aber der Meinung, dass die parlamentarische Demokratie gestärkt werden muss.

Gibt es inzwischen eine gesellschaftliche Schieflage zugunsten wohlhabender und gebildeter Schichten?

Eindeutig. Und das heißt, die Volksdemokratie führt nicht zu mehr Demokratie, sondern zu mehr Einfluss gebildeter und wohlhabender Schichten. Deren Partikularinteressen werden eher gestärkt.

Das hieße aber, dass bei der Primarschulreform „die da oben“ bessere Bildung für „die da unten“ verhindert hätten?

So kann man das sehen. Letztlich sind diejenigen, für die die Reform ein Vorteil gewesen wäre, überstimmt worden von den HamburgerInnen, die keinen Nachteil gehabt hätten, das aber nicht glauben wollten. Sie hatten schlicht Angst, dass ihr Nachwuchs mit „Schmuddelkindern“ in Berührung käme.

Verkommt also die Volksgesetzgebung zur Speerspitze der Elite?

Die Gefahr besteht durchaus.

Dann aber würde die direkte Demokratie die Spaltung der Gesellschaft nicht abmildern, sondern sogar noch vertiefen?

Das ist eine Frage, die man tatsächlich stellen muss.

Interview: Sven-Michael Veit