„Ein Triumph von David gegen Goliath“

Gewinner Hamburgs BUND-Chef Manfred Braasch setzte sich per Volksentscheid gegen den erklärten Willen von Bürgermeister Olaf Scholz durch – die Stadt musste die Energienetze zurückkaufen

Manfred Braasch

Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

52, Geschäftsführer des BUND in Hamburg, Initiator des erfolgreichen Volksentscheids zur Rekommunalisierung der Hamburger Energienetze. Braasch ist Diplom-Ökotrophologe.

taz: Herr Braasch, am 22. September 2013 gewann die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ den Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Energienetze in Hamburg. Wie erinnern Sie sich daran?

Manfred Braasch: Es war ein aufregender Abend, weil es sehr knapp ausging. Zugleich aber war es ein Triumph von David gegen Goliath, wenn man die riesigen Unterschiede im Etat und Werbung betrachtet. Einem Euro von uns standen rund 100 Euro bei Vattenfall und Handelskammer gegenüber: Das war schon ein massives Ungleichgewicht.

Das Ergebnis war mit 50,9 Prozent Ja-Stimmen zu 49,1 Prozent Nein-Stimmen arg knapp. Trotzdem eine ausreichende Legitimation?

Aus meiner Sicht ja. Die Mehrheit entscheidet. Andersherum hätten wir das Ergebnis ja auch akzeptieren müssen.

Sie und Ihr Verband, der BUND, haben sich jahrelang und nachdrücklich für die direkte Demokratie eingesetzt. Ist dann so ein Sieg besonders süß?

Nein, denn es ist ja nicht die primäre Aufgabe des BUND, sich für direkte Demokratie einzusetzen. Hier haben wir uns engagiert, um die Energie- und Klimapolitik in Hamburg voranzubringen, das ist unsere Aufgabe.

2010 und 2015 hat der jeweilige Senat bei zwei Volksentscheiden – Primarschule und Olympische Spiele – ebenfalls verloren. Müssen Regierungen das Volk fürchten?

Nein, aber Regierungen sollten früher und stärker hinhören, was in der Stadt diskutiert wird. Beim Netze-Entscheid gab es eine breite gesellschaftliche Debatte, auch in der Bürgerschaft gab es, anders als bei der Primarschule, eine Opposition. Dieser Diskurs gehört zu einer lebendigen Demokratie.

Also sollte an der Volksgesetzgebung nicht gerüttelt werden?

Ich finde die Volksgesetzgebung in Hamburg, so wie sie jetzt ist, gut. Man kann aber darüber diskutieren, ob die Quoren zu hoch oder zu niedrig sind. Ich finde sie nicht zu hoch. Bei einer weiteren Absenkung bestünde die Gefahr, dass vor allem bei bezirklichen Bürgerbegehren sehr kleine Gruppen ihre speziellen Interessen durchsetzen könnten.

Gibt es inzwischen eine gesellschaftliche Schieflage zugunsten wohlhabender und gebildeter Schichten?

Beim Volksentscheid über die Primarschule habe ich das so wahrgenommen, dass gebildete und beschwerdemächtige Minderheiten eine große Rolle spielen können.

Verkommt also die Volksgesetzgebung zur Speerspitze der Elite?

Aus meiner Sicht dann nicht, wenn Volksentscheide an Wahltagen stattfinden und eine breite Debatte vorausging. Es muss vermieden werden, dass 50 Prozent abstimmen und 25,1 Prozent zum Sieg reichen.

Würde sonst die direkte Demokratie die Spaltung der Gesellschaft nicht abmildern, sondern sogar noch vertiefen?

Die Mobilisierung zur Teilnahme an der Abstimmung muss besser gelingen. Sonst besteht bei einer geringen Abstimmungsbeteiligung diese Gefahr durchaus.

Interview: Sven-Michael Veit