der weiße punkt von RALF SOTSCHECK
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Plötzlich geht der Fernseher aus. Dabei läuft das Gerät in unserer Stammkneipe im Nordteil Dublins sonst pausenlos. Am Freitagabend steht seit 40 Jahren die „Late Late Show“ auf dem Programm. Der Moderator hat in all den Jahren nur ein einziges Mal gewechselt. Pat Kenny, Großmeister der Langeweile, hat wieder ein paar belanglose Gäste geladen. Worüber sie reden, erfährt man nicht, denn der Wirt hat den Ton abgestellt und stattdessen das Radio eingeschaltet.

Eine Talkshow ohne Ton? Dennoch starren die Zecher ständig mit einem Auge auf den Bildschirm. Declan spielt nervös mit seinem Schlüsselbund. Dann schaltet sich der Fernseher ab. Das kommt eigentlich nur zur Sperrstunde vor. Im Pub macht sich Unruhe breit, die Leute starren ungläubig auf den Apparat, schließlich ist es erst 22 Uhr. Die besonders Durstigen bestellen vorsichtshalber eine doppelte Runde. Nach einer Weile bemerkt der Wirt die Ausnahmesituation und schaltet den Fernseher wieder ein.

Declan spielt erneut mit seinem Schlüsselbund. Prompt geht der Fernseher aus, und Declan kichert vor sich hin, während ein paar Stammgäste pawlowreflexartig eine neue Runde bestellen, obwohl sie noch zwei volle Gläser vor sich haben. „TV-B-Gone“, murmelt Declan, und bevor wir ihn für närrisch halten, zeigt er auf ein Plastikkästchen am Schlüsselbund. „So heißt das Ding: Fernsehen-sei-futsch“, sagt er. „Mein Cousin hat es mir aus den USA geschickt. Damit kann man auf 13 Meter Entfernung jeden Fernseher abschalten.“

Der Glotzenkiller ist von Mitch Altman voriges Jahr in Kalifornien erfunden worden. Das Kästchen, kleiner als ein Streichholzheftchen und in Form eines Mini-Batman, sendet eine Serie von Infrarotsignalen aus. So kann es eine Minute dauern, bis es das passende Signal für das Gerät gefunden hat. TV-B-Gone war in den USA keine zwei Tage auf dem Markt, da war es schon ausverkauft. Inzwischen hat Altman eine Version für Europa entwickelt (www.tvbgone.com), und zwar mit Deluxe-Ausstattung, die seit zwei Wochen für 25 Dollar verkauft wird. Damit kann man durch einen einzigen Knopfdruck sämtliche Fernseher in Reichweite abschalten, was auf Flughäfen und in Supermärkten nützlich ist, wo die Flimmerbelästigung geballt auftritt. In Großbritannien wird der Fernsehfutsch von „White Dot“ vertrieben wird. Der Name bezieht sich auf den kleinen weißen Punkt, den man einen Augenblick lang sieht, bevor der Bildschirm erlischt. David Burke, der Vorsitzende der Organisation, sagt: „Die Leute sehen in ihrem Leben zehn bis zwölf Jahre fern. Was könnten sie in dieser Zeit alles machen. Sie könnten sich zum Beispiel mit ihren Kindern unterhalten.“ Zehn Jahre lang? Die Kleinen werden begeistert sein. Bei dieser Vorstellung erscheint ihnen vermutlich sogar Pat Kenny attraktiv.

Der ist aber schon wieder verschwunden. Die durstigen Stammgäste haben inzwischen fünf Biere gehamstert, man weiß ja nie. Und sie unterhalten sich zum ersten Mal miteinander: Sie machen gehässige Bemerkungen über den Wirt, der auf einem Stuhl steht und den Fernseher mit den Fäusten bearbeitet. Er lacht aber zuletzt: Inzwischen ist die Sperrstunde gekommen, und niemand hat es bemerkt.