Hilflose Akte

Anders Paulins „Mephisto“-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus setzt auf Klamauk statt auf Tiefgang. Bei der Premiere am Wochenende war das Publikum trotzdem begeistert

von Katrin Jäger

Sich auf der Bühne nackt auszuziehen, das ist rund 40 Jahre nach der Hippie-Bewegung nun in bürgerlichen Kreisen schick. Ausgiebig ließ Phillip Otto, Darsteller des Hendrik Höfgen, in der Mephisto-Premiere am vergangenen Samstag die Hüllen fallen – und das überwiegend gediegene Publikum im Schauspielhaus jubilierte. Einen einzelnen Buh!-Ruf rügte eine Dame im schwarzen Abendkleid mit den Worten: „Können Sie nicht klatschen, statt zu schreien?“

Eine durchaus groteske Situation, denn gerade von Äußerungsverboten und Konformitätszwang handelt ja die berühmte Romanvorlage für das Stück aus dem Jahre 1936, die hierzulande erst 1981 veröffentlicht werden konnte. Darin beschreibt Klaus Mann die steile Karriere des Schauspielers Hendrik Höfgen – dem Manns Schwager Gustaf Gründgens als kaum verschleiertes Vorbild diente –, der sich mit einer Mischung aus künstlerischer Kraft und Anbiederung bei den Nazis zum Leiter des Berliner Staatstheaters mausert.

Der echte Gründgens übernahm 1955 die Leitung des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, jetzt beginnt Friedrich Schirmer hier seine Intendanz, und das mit fast komplett neuem Ensemble. Diese Parallele versucht der junge schwedische Regisseur Anders Paulin in seine Inszenierung zu pressen. Ein Banner mit dem Schriftzug „wie anfangen. Das Schauspielhaus Spielzeit 2005 / 06“ hängt zu Beginn der Vorstellung drohend von der Decke.

Dieser verzweifelten Frage folgen zwei hilflos inszenierte Akte. Höfgen schreit hysterisch, wenn er sich nicht gerade auszieht; sein Übervater, der alte Gründgens (Jürgen Uter) reitet den nackten Jüngling in Nazi-Uniform; Helene Grass zwängt sich als die Göring-Geliebte Emmy Sonnemann in ein Ganzkörper-Nacktkostüm aus Latex mit Busenprothesen und Schamhaartoupet; die anderen DarstellerInnen tummeln sich mit Karnevalsmasken auf dem Bühnenparkett und wippen zu Songs aus der Pop-Konserve.

Abgedroschener Klamauk bringt das Publikum zum Lachen: Wenn etwa der alte Gründgens und der junge Höfgen sich wie „Dick und Doof“ gegenseitig eine Batterie von Backpfeifen verpassen. Das Zepter der Banalität regiert diese Inszenierung, ohne die Banalität des deutschen Theaters im „Dritten Reich“ kritisch zu reflektieren. Auch die Attitüde, das Jetzt und das Damals, das Schauspieler-Sein und das Schauspieler-Spielen zu verschmelzen, endet in tösender Beliebigkeit. Die SchauspielerInnen gleiten von einer Rolle in die nächste, eine platte Art, diesen Gründgens‘schen Charakterzug zu erzählen.

Erzählen? Wenn es das denn gewesen wäre. Keine narrative Dichte, keine immanente Notwendigkeit der aneinander gereihten Schenkelklopfer. Das einzige erzählende Element sind die Texteinsprengsel. Die SchauspielerInnen lesen aus dem Roman Mephisto, aus Briefen von Gründgens und Klaus Mann, erläutern mit Lexikontexten das historische Setting ihrer Story, zitieren Nietzsche, Goethe, Sloterdijk.

Nur zum Schluss blitzt schauspielerische Tiefe auf, als Marlen Diekhoff einen langen Monolog hält über Gustaf Gründgens‘ Phoenix gleichen Wiederaufstieg an den deutschen Theaterhimmel nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine ähnliche Tendenz scheint sich für Friedrich Schirmer und das neue Schauspielhaus-Personal zu zeigen – wenn das Publikum dem Klamauk weiterhin so zugetan bleibt wie bei dieser Premiere.

weitere Vorstellungen: 13., 24., und 26. 10., jeweils 19.30 Uhr, Schauspielhaus