„Außer-gewöhnlich ist in Berlin schon genug“

Das bleibt von der Woche Die AfD tauscht einen Nazi gegen einen Hetzer, die Koalitionsverhandlungen haben begonnen, eine Anti-rechts-Aktivistin wird verurteilt, und Brandenburg will die Landkreise deutlich vergrößern

Recht, aber lange nicht richtig

Urteil gegen Aktivistin

Dieses Urteil ist keinem fühlenden und denkenden Menschen vermittelbar

Was Recht ist, muss noch lange nicht richtig sein. Diese alte Weisheit drängt sich auch beim Prozess gegen Irmela Mensah-Schramm auf, die selbsternannten „Polit-Putze“, die seit Jahrzehnten rechte Sprüche aus dem Stadtbild entfernt und nun dafür vom Berliner Kammergericht wegen Sachbeschädigung verwarnt wurde. Das ist dem Gesetzestext nach nicht zu beanstanden und doch grob töricht.

Genau genommen bezieht sich die mit einjähriger Bewährung versehene Verwarnung – wenn Mensah-Schramm bei einem ähnlichen Vergehen erwischt wird, muss sie 1.800 Euro zahlen – aber nicht auf ihren allgemeinen Einsatz gegen Naziaufkleber und -parolen, das wäre den Behörden vermutlich dann doch zu peinlich gewesen. Die Staatsanwaltschaft stieß zu, als Mensah-Schramm eine an die Wand einer Zehlendorfer Unterführung gesprühte Parole zum Besseren veränderte, die vor nicht langer Zeit wohl selbst eine linke gewesen wäre: „Merkel muss weg“.

Diese Aussage wird erst in einem – zwar wahrscheinlichen, aber eben nur unterstellten – Pegida-Kontext zum rechtsextremen Spruch, der unanfechtbare moralische Aspekt fiel quasi unter Tisch. Trotzdem ist es natürlich keinem fühlenden und auch keinem denkenden Menschen vermittelbar, dass die Umgestaltung dieser Parole zu „Merke! Hass weg!“ strafwürdig sein soll, selbst wenn das die Anzahl der besprayten Quadratzentimeter marginal erhöhte.

Fand auch der Richter. Nicht aber die übereifrige Staatsanwältin, die Mensah-Schramm zudem vorwarf, mit ihrem Tun „kein Vorbild“ zu sein. Aber wer hier kein Vorbild ist, liegt auf der Hand. Claudius Prößer

Bücher ja, Prachtbauten nein

Diskussion ÜBER die ZLB

Es müssen nicht Hunderte Millionen in umstrittene ­Architektur fließen

Irgendwie hat es mancher immer noch nicht begriffen: Berlin ist weiterhin Haushaltsnotlageland. Das ist offiziell so mit dem Bundesfinanzminister und einem Gremium namens Stabilitätsrat vereinbart. Und für diese halbe Bankrotterklärung gibt es jährlich sogar ein paar Dutzend Millionen zusätzlich an Unterstützung als sowieso schon. Dafür ist bei Schäuble regelmäßig Bericht zu erstatten, wie Berlin seinen Haushalt in Ordnung bringt oder „konsolidiert“, wie die Finanzpolitiker immer sagen. Das klappt seit einigen Jahren auch ganz gut – das Geld geht dahin, wo es absolut nötig ist, außer vielleicht beim Thema Kita, wo die SPD aus ideologischen Gründen sogar den Superreichen die Beiträge erlässt.

Die jetzt wegen der am Donnerstag begonnenen rot-rot-grünen Koalitionsverhandlungen wieder aufgeflammte Diskussion über einen Neubau der Zentral- und Landesbibliothek, kurz ZLB, zeigt, dass das mit dem absolut Nötigen bei einigen in Vergessenheit geraten ist. Da hängen einige an einem Sie­ger­ent­wurf eines Wettbewerbs von 2013. Eine Simulation zeigt vor allem eins: eine riesige leere Eingangshalle. Bücher? CDs? Filme? Nicht zu sehen. Aber viel von dem, was Architekten wahrscheinlich toll finden.

Das mag alles Geschmackssache sein, aber eines ist es sicher nicht: das absolut Nötige. Nicht in dem Land, das trotz ausgeglichenen Haushalts noch fast 60 Milliarden Euro Schulden hat und am Tropf anderer Bundesländer hängt. Wenn die ZLB aktuell nicht genug Platz für Bücher hat oder zu wenig Arbeitsplätze, dann muss ein Neu- oder Ausbau genau das bringen.

Was er ausdrücklich nicht bringen muss, ist, mit einer „außergewöhnlichen Architektur“ punkten zu können, was vom Deutschen Kulturrat jüngst zu hören war. Außergewöhnlich ist nämlich in Berlin schon genug. Da müssen nicht noch Hunderte Millionen – der Entwurf fürs Tempelhofer Feld sollte mindestens 280 Millionen kosten – in umstrittene Bibliotheksarchitektur fließen, wenn kleine Büchereistandorte bedroht sind und in öffentlichen Einrichtungen der Putz von der Wand fällt. Stefan Alberti

Gute Hetzer, schlechte Hetzer

Personalpolitik der AfD

Für AfD-Neumitglied Nicolaus Fest ist der Islam „eine totalitäre ­Bewegung“

Was ist wichtiger für eine Partei, ihr Programm oder ihr Personal? Sicher Letzteres, zumal die Spitzenpolitiker die sichtbaren Positionen ihrer Partei festlegen. Erst recht gilt das für junge Parteien, die – jungen Menschen gleich – noch formbar sind.

Womit wir bei der Berliner AfD wären. Sie hat in der vergangenen Woche angekündigt, einen Nazi hinauswerfen zu wollen und einen Hetzer aufzunehmen. Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Bei Letzterem geht die Parteiführung davon aus, dass er ihr nutzen wird; der andere hätte nur noch Schaden angerichtet.

Kay Nerstheimer hat eine tiefbraune jüngere Vergangenheit. Er war kurzzeitig Mitglied einer rechtsextremen Gruppe; er hat sich homophob und rassistisch geäußert. Und obwohl er bei den Abgeordnetenhauswahlen in Lichtenberg für die AfD ein Direktmandat holte und damit eine besondere demokratische Legitimation für seine politische Arbeit besitzt, hat die Berliner AfD-Führung um ­Georg ­Pazderski und Beatrix von Storch schon früh beschlossen, ihn loswerden zu wollen.

Erst musste der 52-jährige Nerstheimer auf die Mitgliedschaft in der AfD-Fraktion verzichten; am Montag wurde bekannt, dass der Vorstand ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn angestrengt hat. Nerstheimers politische Position widerspreche der „Linie der AfD“, begründete dies ihr Sprecher.

Ganz anders Nicolaus Fest, Sohn des einstigen FAZ-Herausgebers Joachim Fest und früherer Vizechef der Bild am Sonntag. Er hatte den Springer-Verlag vor zwei Jahren nach einer Hetzschrift gegen den Islam verlassen. Während seiner Vorstellung mit viel Gloria als Neumitglied am Donnerstag erklärte Fest, der Islam sei „weniger eine Religion als eine totalitäre Bewegung“, vergleichbar mit dem Nationalsozialismus. Deren „Ausübung“ müsse verhindert werden, alle Moscheen als Symbol dieser „Ideologie“ gehörten geschlossen.

Mit dieser Propaganda liegt Fest ganz auf der Linie der christlich-fundamentalistischen von Storch und ist nur einen Hauch von Bundesparteichefin Frauke Petrys „völkisch“ entfernt. Rassenhass verkauft sich, so offenbar die Meinung der Partei, eben besser, wenn er als Religionshass verkleidet daherkommt.

Nicolaus Fests Ziel dürfte ein Bundestagsmandat 2017 sein, gemeinsam mit von Storch. Nerstheimer wird derweil als Hinter- und Einzelbänkler ab und an im Berliner Abgeordnetenhaus herumsitzen.

Bert Schulz

Diese Reform bringt nur Unheil

Kreisreform Brandenburg

Ganze Regionen werden von kommunaler Infrastruktur abgeklemmt

Das Unheil begann 2007 in Sachsen-Anhalt. Später kam es über Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Und nun legen Thüringen und Brandenburg als letzte ostdeutsche Flächenländer ihre Hoffnung in eine Kreisgebietsreform. Brandenburgs Innenminister Schröter (SPD) hat am Mittwoch die neue Brandenburgkarte vorgestellt. 14 Landkreise und vier kreisfreie Städte werden zu 9 Kreisen und der einzigen dann verbliebenen kreisfreien Stadt Potsdam geschrumpft.

Was die Landesregierung aus SPD und Linkspartei für einen Erfolg hält, schmähen andere nur als „Schnittmusterbogen“, auf dem Gebiete zerschnippelt und neu zusammengeklebt werden. Der Widerstand zieht sich durch Kreistage, Städte und Kommunen – quer durch alle Parteien. Doch Unterschriftensammlungen und Verfassungsbeschwerden dürften kaum helfen.

Die Landesregierungen – egal ob von CDU, SPD oder Linkspartei angeführt – bringen die immer gleichen Argumente vor: Geringere Einwohnerzahlen führen zu höheren Kosten, die durch Fusionen wieder gesenkt werden. In Mecklenburg-Vorpommern sind die Schuldenberge der Landkreise auch nach der Reform allerdings stetig gewachsen.

In Wahrheit werden nur ein paar Landratsposten und Dienstwagen eingespart, dafür aber ganze Regionen von kommunaler Infrastruktur abgeklemmt. Abgesandte der neuen, dann „schlanken“ Verwaltungen preisen anschließend die Vorteile der E-Governance – in Gegenden mit teuren, aber leistungsschwachen DSL-Netzen.

Die politische Ernte fahren andere ein. „Neue Perspektiven entdecken“ – so wirbt Brandenburg an den Landesgrenzen. In Mecklenburg-Vorpommern lassen sich inzwischen reichlich trübe Perspektiven besichtigen. Die AfD kam bei den Landtagswahlen im September aus dem Stand auf 20,8 Prozent und ist zweitstärkste Kraft – auch wegen einer Kreisgebietsreform, die die Mehrheit ablehnte.

In Thüringen, wo Ministerpräsident Bodo Ramelow die Fusion noch schneller umsetzen will als in Brandenburg, drohen Gemeinden inzwischen mit dem Wechsel nach Bayern und träumen von einer „fränkischen Wiedervereinigung“. Auch die Brandenburger könnten für sich ganz andere, ganz neue Perspektiven entdecken. Guben schließt sich wieder mit Gubin zusammen, Frankfurt mit Słubice. Historische Bezüge gäbe es genug. Das wäre eine originelle, eine wirklich europäische Reform.

Thomas Gerlach