Adelaide aus London: "Es gibt eine unendliche Menschenvielfalt. Ich finde das irgendwie befreiend"

Foto: Daniel Zylbersztajn

Ich heiße Adelaide Winion-Acolatse. Ich wurde 1971 in Manchester geboren, doch schon drei Jahre später nahm mich mein Vater mit nach Accra, weil er Heimweh verspürte. Mit vierzehn kehrte ich nach Großbritannien zurück.

Seitdem lebe ich in der Londoner Stadtmitte in Holborn, wo ich seit 1990 eine kleine Einzimmerwohnung besitze, in der ich mit meinem inzwischen elf Jahre alten Sohn wohne.

Eigentlich bin ich Lehrerin, doch weil ich mehr Flexibilität für meinen Sohn brauche, verdiene ich meinen Lebensunterhalt derzeit als Textilarbeiterin von zu Hause. Leider reicht das nicht, um über die Runden zu kommen. Deshalb vermiete ich meine Wohnung drei Tage die Woche an einen regelmäßigen Mieter, und zwischendurch auch mit AirBnB an Touristen. Derweil kommen wir bei meiner Mutter im Crouch End im Norden Londons unter. Da schlafe ich auf dem Wohnzimmersofa.

Beide Gegenden gefallen mir. Holborn, weil man von dort überall im Zentrum zu Fuß hinkommt, aber auch weil wir eine richtig starke Nachbarschaftsgemeinschaft haben. Das liegt daran, dass wir uns vor vier Jahren zusammentaten, um vereint gegen Junkies und Gangs vor unserem Haus vorzugehen. Seitdem kennen wir uns alle, die Junkies sind weg und wir pflegen und begrünen gemeinschaftlich die Gegend um das Haus herum.

In Crouch End liebe ich das Grüne und den Garten meiner Mutter. In beiden Gegenden gibt es eine unendliche Menschenvielfalt. Ich finde das irgendwie befreiend, und es macht mich stolz, Britin zu sein. Ich würde weder in einer ganz weißen englischen Gegend noch in einer ganz westafrikanischen Gegend leben wollen. Rassismus habe ich selbst übrigens in London noch nie erfahren müssen und auch als Frau ist es perfekt hier.

Das Schlimmste an London ist der Platzmangel. Alles ist eng und verschmutzt, und es gibt zu wenig geräumige Wohnungen. Eigentlich würde ich mir gern eine größere Wohnung kaufen, müsste aber dafür weit an den Stadtrand ziehen, denn hier ist das unerschwinglich. Dennoch gibt es hier mitten im Zentrum Sozialwohnungen für Leute, die nicht arbeiten wollen, oder Wohnungen, die leer stehen, weil sie Leute in Übersee als Investition gekauft haben. Das macht mich wütend. London muss in Zukunft mehr für Londoner bringen, die hier arbeiten und Normalverdiener sind.

Vom Londoner Busnetzwerk, mit dem man überall hinkommt, bin ich andererseits voll begeistert, ganz im Gegensatz zu den anarchischen Londoner Fahrradfahrern, die keine einzige Regel zu beachten scheinen. Sollte mir mal was passieren, ist auch die medizinische Versorgung super. Per Zentraldatensystem kommen unsere medizinischen Daten in jedes Gesundheits- oder Ärztezentrum von London.

Darf ich auch was über die düsteren Seiten Londons sagen? Als Mutter eines elfjährigen schwarzen Jungen bereiten mir die Messerstechereien unter Teenagern große Sorgen. Auch die Schulen lassen viel zu wünschen übrig. Meiner Erfahrung nach kommen die Lehrer meist von außerhalb und haben null Ahnung, womit Innenstadtkinder hier konfrontiert sind. Sie verstehen nicht den Druck, unter dem alleinstehende Eltern sich und ihre Kinder durchbringen, oder die ständige Gefahr, dass Gangs als Ersatzfamilie attraktiv werden, wenn wir Eltern immer arbeiten müssen.

Protokolliert von Daniel Zylbersztajn