Heiliger Bruder setzt auf das Wasserwunder

Katholischer Bischof schützt den zweitgrößten Fluss Brasiliens vorerst vor dem Ausbau – durch einen Hungerstreik

BERLIN taz ■ Der Hungerstreik ist vorbei, die Kontroverse bleibt: Elf Tage lang hat Bischof Luiz Flávio Cappio hungernd protestiert. Er will verhindern, dass der zweitgrößte Fluss Brasiliens, der São Francisco, durch ein 720 Kilometer langes Kanalsystem umgeleitet wird. Am Donnerstag hat der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva immerhin zugesagt, erneut über das Projekt zu diskutieren.

Als Einlenken wollte der 59-jährige Franziskaner das nicht verstanden wissen: „Wir hören nicht auf, wir fangen erst an“, versicherte er vorgestern in Cabrobó, einer Kleinstadt mitten im Nordosten des Landes. Sobald die Regierung ihr Wort breche, nehme er den Hungerstreik wieder auf. Auch Lulas Gesandter Jaques Wagner sah in der Sache selbst wenig Annäherung.

Die Regierung will das Wasser des 2.700 Kilometern langen Flusses nutzen, um trockenere Landstriche in vier Bundesstaaten zu bewässern. Je nach Jahreszeit soll dem São Francisco bis zu fünf Prozent Wasser entzogen werden. Von dem Projekt, dessen Kosten die Regierung auf umgerechnet 1,4 Milliarden Euro veranschlagt hat, sollen angeblich 12 Millionen Menschen profitieren. Doch das will nicht einmal die Weltbank glauben – eine Kofinanzierung hat sie abgelehnt.

Die Umleitung sei ökologisch, sozial und ökonomisch unsinnig, argumentieren die Kritiker. Zunächst einmal müsse der chronisch verschmutzte São Francisco „wiederbelebt“ werden – beispielsweise durch Maßnahmen zur Erosionskontrolle, Wiederaufforstung an den Ufern und in den Quellgebieten, Abwasseranlagen und Umwelterziehung. Zudem herrsche auch im Nordosten keine absolute Wasserknappheit, sondern vor allem ein Verteilungsproblem.

„Schon jetzt leben 500 Meter vom Fluss entfernt Menschen ohne Wasser“, sagt Bischof Cappio, der sich seit 12 Jahren für den Fluss und seine Anwohner einsetzt. Es gehe vielmehr um den Beginn eines „Wassergeschäfts“ im großen Stil. Profitieren würden die großen Bauunternehmer, das Agrobusiness, die Bewässerungsfirmen oder die Krabbenzüchter – die so genannte Trockenheitsindustrie.

Lula habe sich im Hinblick auf die kommende Wahl mit den Eliten der betroffenen Bundesstaaten verbündet, analysiert auch der grüne Abgeordnete und Exgenosse des Staatschefs Fernando Gabeira. Und der Wasserexperte João Abner beklagt: „Der Diskussionsprozess in der Region war eine Farce, ein abgekartetes, bürokratisches Spiel.“ Durch die teuren Bauarbeiten, so ist sich Abner sicher, würden sich die Wasserpreise verfünffachen.

Durch den Hungerstreik von Bischof Cappio hat die Debatte nun vor dem Beginn der Bauarbeiten die nationale Ebene erreicht. Die katholische Bischofskonferenz fordert einen Aufschub des Vorhabens, die Landlosenbewegung eine Volksabstimmung. Auch die liberale Tageszeitung Folha de São Paulo warnt vor einem „unvollendeten oder wirkungslosen Pharaonenprojekt“ mit Schäden in Milliardenhöhe. Vorgestern bremste dann die Justiz: Die erste Genehmigung der nationalen Umweltbehörde sei wegen Formfehlern hinfällig, urteilte eine Bundesrichterin in Salvador da Bahia.

GERHARD DILGER