Kommunen haften für fehlende Kitaplätze

Urteil Drei Mütter haben beim Bundesgerichtshof Erfolg – der Rechtsstreit ist noch nicht beigelegt

Eine Klagewelle wird das BGH-Urteil vermutlich aber nicht auslösen

KARLSRUHE taz | Eltern haben Anspruch auf Verdienstausfall, wenn sie nicht arbeiten können, weil in ihrer Kommune Kitaplätze fehlen. Das hat am Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil entschieden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kommune den Mangel an Kitaplätzen selbst zu verantworten hat.

Dem BGH lagen drei Fälle aus Leipzig vor. Die betroffenen Mütter, darunter eine Architektin und eine technische Zeichnerin, wollten nach einem Jahr Elternzeit 2014 wieder in ihren Beruf zurückkehren. Bei der Stadt Leipzig hatten sie rechtzeitig Betreuungsbedarf angemeldet, doch die Stadt konnte ihnen keine Kitaplätze anbieten. Die drei Mütter blieben deshalb weiter zu Hause, bis sie nach einigen Monaten dann doch einen Betreuungsplatz erhielten. Von der Stadt wollten sie den zwischenzeitlich entstandenen Verdienstausfall ersetzt bekommen.

Beim Landgericht Leipzig hatten die Mütter zunächst Erfolg, schließlich haben Kinder ab einem Jahr schon seit 2013 Anspruch auf einen Kitaplatz. Doch das Oberlandesgericht (OLG) Dresden verneinte einen Schadensersatz-Anspruch. Die Stadt habe zwar ihre Amtspflicht verletzt. Die Pflicht zur Schaffung von Kitaplätzen diene aber nur der Förderung des Kindes und schütze nicht die Erwerbsinteressen der Eltern. Die Mütter fanden das absurd und gingen in die Revision zum BGH. Dort hatten sie jetzt Erfolg. „Dem Gesetzgeber ging es auch um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, betonte der Vorsitzende BGH-Richter Ulrich Herrmann. Deshalb könnten Eltern im Prinzip auch ihre „Verdienstausfallschäden“ bei der Kommune geltend machen, wenn diese bei der Versorgung mit Kita-Plätzen versagt.

„Damit ist der Rechtsstreit aber noch lange nicht zu Ende“, warnte Richter Herrmann. Der Fall wurde nun wieder an das OLG Dresden zurückverwiesen. Dort muss jetzt geprüft werden, ob die Stadt Leipzig den Mangel an Kita-Plätzen auch verschuldet hat. „Das Verschulden wird zwar vermutet. Wenn aber ein Bauunternehmen insolvent wird oder die Erzieherstellen nicht besetzt werden können, dann muss die Kommune nicht haften“, betonte Herrmann. „Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann sich eine Kommune allerdings nicht berufen“, so der Richter.

Eine Klagewelle wird das Urteil vermutlich nicht auslösen. Zum einen haben die Kommunen ihr Angebot in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Außerdem können Eltern, wenn kommunale Kita-Plätze fehlen, ihr Kind auch in eine private Kita geben. Die Kommune muss dann die Kosten erstatten. Das hat das Bundesverwaltungsgericht bereits 2013 festgestellt. Selbst wenn die Kosten der privaten Kita deutlich höher sind, haben Eltern Anspruch auf Aufwendungsersatz, entschied im letzten Juni der Bayerische Verwaltungsgerichtshof. Für Eltern, die wieder arbeiten wollen, dürfte dieser Weg attraktiver sein.

Nach Angaben des Städte- und Gemeindebunds wurden Anfang 2016 bundesweit rund 720.000 Kinder unter drei ­Jahren in Kindertageseinrichtungen oder in der öffentlich geförderten Kindertagespflege ­betreut. Damit hat sich die ­Anzahl der betreuten Kinder in Kitas und in der Tagespflege mehr als verdoppelt.

Christian Rath