Leben

Bei Mäusen funktioniert es schon: aus Hautstückchen durch Stammzellentechnik Eizellen und Spermien zu schaffen. Was nun?

„Es ist nicht bewiesen, dass das beim Menschen funktioniert“

Ethik Der Gen-Ethiker Peter Dabrock rechnet mit einem Aufschwung der embryonalen Stammzellforschung in Ländern mit liberaler Gesetzgebung

Peter Dabrock

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ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrats und Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der Universität Erlangen-Nürnberg.

taz: Die Wissenschaft spricht von einem Durchbruch für die Reproduktionsmedizin. Welche Risiken sehen Sie bei der Anwendung dieser Verfahren?

Peter Dabrock: Erst mal muss man sagen, dass die Produktion von Eizellen im Reagenzglas ein Maus-Experiment ist. Es ist noch nicht bewiesen, dass es beim Menschen auch funktioniert. Aber wenn, wird Deutschland sicherlich nicht das erste Land sein, in dem das probiert wird.

Warum nicht?

Wir haben in Deutschland eine restriktive Einstellung zur Forschung mit frühem menschlichen Leben. Sofern dieses Experiment auf den Menschen übertragen werden kann, wird es immer schwieriger, den Schutzstandard wie bisher danach auszurichten, dass eine Zelle das Potential hat, sich als menschliches Leben zu entwickeln. Das gilt bald für jede normale Zelle. Wir müssen daher fragen: Wozu nutzen wir die Forschung? Was lässt sich verantworten?

Was erwarten Sie von dieser Forschung, wenn sie auf den Menschen übertragbar wird?

Bisher galt als Hinderungsgrund gegen humane Stammzellforschung aus feministischer Perspektive: Wollte man Eizellen nutzen, mussten Frauen sie unter risikoreichen Bedingungen hergeben. Das wäre mit dieser Technik nicht mehr nötig. Ich rechne in Ländern mit liberaler Gesetzgebung mit einem Aufschwung der embryonalen Stammzellforschung.

Welche weiteren Entwicklungen sehen Sie?

Es wird immer deutlicher, dass der Raum für reproduktive Möglichkeiten sich stetig vergrößert. So werden mit Hilfe dieser Technik potentiell auch schwule und lesbische Pärchen genetisch mit beiden Eltern verwandte Kinder haben können. Nicht alles scheint mir sinnvoll und gut zu sein: Mit dieser Technik ist potentiell auch möglich, dass Frauen sich eine Eizelle entnehmen lassen. Wenn dann ein Spermium aus ihrer Hautzelle gemacht würde, könnte sie mit sich selbst ein Kind haben.

Wie bewerten Sie das?

In etwa so wie Inzucht. Zu erlauben, dass man sich mit sich selbst fortpflanzt, ist nun wirklich nicht „das Gelbe vom Ei“. Deutlich wird durch diese neue Technik: Unsere Lebensformen, Familien und Elternschaft sind nicht primär an biologischen Grundlagen auszurichten, es sind soziale Errungenschaften, die ein gutes Leben miteinander ermöglichen sollen.

Auf was basieren diese sozialen Errungenschaften?

Auf Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortung füreinander. Und zwar unabhängig davon, ob man schwul, lesbisch oder heterosexuell ist. Wir hatten die Diskussion über die Grundlagen der Familie lange in der evangelischen Kirche. Ich sehe die Familie nicht in Gefahr, wenn homosexuelle Paare Kinder haben – wenn sich Menschen selbst fortpflanzen schon.

Wie bewerten Sie Leihmutterschaft, auch in Bezug auf die neuen Entwicklungen?

Weiterhin sehr kritisch, denn die Schwangerschaft ist doch etwas sehr besonderes, Intimes. Das wunderbare „Resultat“ dieser für die Frau in Freud und Anstrengung unvergleichlichen Zeit nach der Schwangerschaft zu veräußerlichen, halte ich für ethisch schwer bedenklich.

In Deutschland ist es theoretisch nicht verboten, aus Hautzellen Stammzellen und potentiell dann auch Eizellen und Spermien herzustellen. Brauchen wir neue Gesetze?

Davor müssen wir uns darüber unterhalten, was wir in dieser Gesellschaft wollen.

Was sehen Sie denn als größtes Problem in Ländern wie den USA, die eine recht liberale Gesetzgebung haben?

Wenn Eizellen wie Sand am Meer herumliegen, dann könnte man sehr großzügig IVF und dann routinemäßig Präimplantationsdiagnostik machen. Wenn Länder, die ohnehin eine liberale Gesetzgebung haben, zu diesem ersten Schritt, also der industriellen Produktion von Eizellen Ja sagen, dann würde es fast verwundern, wenn sie nicht auch zu einer flächendeckenden Präimplantationsdiagnostik Ja sagen würden. Das wollen wir in Deutschland sicherlich nicht.

Apropos Designerbaby: Sehen Sie denn da in Deutschland eine Gefahr?

Die restriktive deutsche Gesetzgebung bietet hier die Möglichkeit, mit weniger Aufgeregtheit die Fragen zu der neuen Technik zu durchdenken. Das müssen wird bald tun. Denn wir leben in Deutschland nicht auf einer einsamen Insel.

Interview Valerie Höhne