Große Lust, zu erzählen

KUNSTGESCHICHTE Nach ihrem Tod wurde die Grafikerin und Malerin Hermine David von der männlichen Kunstgeschichtsschreibung vergessen. Eine Ausstellung in Delmenhorst begibt sich auf ihre Spuren

Oben: Hermine Davids „Ferme à Cuba“ (Sammlung Jivkova-Gahr/Gahr, Mainz)Unten: Hermine David (li) mit ihren (Künstler-)Freunden und Bekannten Foto: Jens Weyers.Foto: Privatsammlung/Oslo

Gegen den Strich gebürstet wird die Kunstgeschichte in dieser Ausstellung: Anstatt die übliche große Story der Kunst in der Moderne zu erzählen, die stets in der Befreiung von Farbe und Form gipfelt, wird in der Städtischen Galerie in Delmenhorst ein zunächst scheinbar nebensächliches Motiv verfolgt: Am Anfang ist da dieses soft-expressionistische Porträt.

Ein Hintergrund, so hell und bewegt, als sei da eine leichte, warme Brise. Davor eine Frau in einem leuchtend gelben Mantel mit blauem Kragen, darunter weißer Stoff über der Brust, die Augen niedergeschlagen, der kleine Mund knallrot, das weißliche Gesicht leuchtet. „Hermine David in gelber Jacke“ heißt das Bild, das Fritz Stuckenberg um 1909 herum in Paris gemalt hat.

Zahlreiche Bilder Stuckenbergs gibt es in Delmenhorst, wohin der in München geborene Maler im Alter von zwölf mit seiner Familie gezogen ist. In der Sammlung der Städtischen Galerie, aber auch in der Stadtkirche hängen zwei seiner größeren Gemälde. Als Mitglied der Künstlergruppe Sturm ist er ein einigermaßen bekannter Künstler – so richtig berühmt geworden ist er nicht.

In Delmenhorst, das er in einem Brief an seinen flämischen Künstlerfreund, den Dadaisten Paul van Ostaijen, als „finsteren Ort“ bezeichnete, verbrachte er seine Jugend und starb dort auch 1944 nach langer Krankheit. Von 1909 bis 1912 aber trieb er sich als Künstler in Paris herum und lernte dort auch die Dame mit dem gelben Mantel und dem roten Mund kennen: Hermine David.

„À la recherche: Hermine David“ heißt die Ausstellung, für die die Kuratorinnen Aneta Polenga und Annett Reckert sich in detektivischer Kleinarbeit auf die Spur der französischen Künstlerin gemacht und sehr unterschiedliches Material zusammengetragen haben. Die Bilder, Drucke und Fotografien stammen aus deutschen, französischen und norwegischen Sammlungen. Die Kuratorinnen rekonstruieren so die spannende Geschichte einer nur wenig bekannten Malerin und Illustratorin.

Vergessene Malerin

Sie schneiden damit aber auch ein Thema an, das für die Kunstgeschichtsschreibung typisch ist: das Vergessen ihrer weiblichen Protagonistinnen. Für die Kunst der klassischen Moderne trifft dies in besonderer Weise zu und es ist naheliegend, dass dies mit der Idee von der Befreiung von Farbe und Form zusammenhängt. Wenn diese Art der Befreiung männlich ist, dann ist das Prinzip der Moderne männlich.

Bis zu ihrem Tod 1970 war Hermine David eine erfolgreiche und angesehene Malerin und Illustratorin

Hermine David jedenfalls verliert sich in den Details ihrer Landschaftsbilder. Eine Wand der Städtischen Galerie ist voll behängt mit Landschaftsmalerei aus fünfzig Jahren. Man findet kein Prinzip, nach dem sich das Werk entwickelt hätte, keine Geschichte der Befreiung von Farbe und Form, vielmehr große Lust zu erzählen. In den Bildern der 1910er- und 1920er-Jahre sind gelegentlich die Einflüsse der Avantgarden spürbar: mal eine Straße mit kuboexpressionistischen Häusern wie bei Lyonel Feininger oder Georgio de Chirico, mal leicht wehende Bäume wie bei Otto Müller.

Das Interesse an der malerischen Umsetzung hehrer Programmatik scheint insgesamt recht gering. Auf diesen Bildern erzählt sie detailverliebt von den Orten, die sie während ihrer zahlreichen Reisen besuchte: unter anderem Norwegen, England, Mallorca, Kuba, Amerika.

Ob Stuckenberg und David viel miteinander zu tun hatten, erfährt man nicht. Beide jedenfalls waren Mitglieder der Pariser Künstlergruppe Café du Dôme. Man erfährt, dass sie sich einige Male getroffen haben müssen, denn von Stuckenberg gibt es drei Portraits von ihr aus unterschiedlichen Jahren, das letzte ist auf 1920 datiert. Hermine David schien bei einigen Malern, vielleicht aufgrund ihres markanten Gesichts, ein beliebtes Modell zu sein. In der Ausstellung trifft man auf weitere Porträts, die der Bulgare Jules Pascin und die Schwedin Sigrid Hjertén von ihr angefertigt haben.

Erfolgreiche Illustratorin

Hermine David, 1886 in Paris geboren, studierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine der ersten Frauen an der École des Beaux-Arts. Als ihre produktivste Phase gelten die 1920er- und 1930er-Jahre, in denen sie in französischen, englischen und US-amerikanischen Galerien ausstellte und viele Bücher illustrierte, darunter Bände von Marcel Proust, Victor Hugo und Arthur Rimbaud.

In Delmenhorst ist das von ihr illustrierte Buch „Les Nuits chaudes du Cap Français“ von Hugues Rebell zu sehen, das 1927 in Paris erschienen ist. Erzählt wird eine erotische Geschichte in der französischen Südseekolonie. Davids Illustrationen spielen mit dem Motiv des Entkleidens der Bilder. Wie ein Bühnenvorhang öffnen sich in den Bildern die Äste der Bäume und Fenstergardinen.

Auch in der Drucktechnik des Drypoints und der Lithografie galt sie als Meisterin, ihre Stadt- und Landschaftsansichten wurden verlegt, ausgestellt und waren bei Sammlern sehr beliebt. Bis zu ihrem Tod 1970 war Hermine David eine erfolgreiche und angesehene Künstlerin und entsprach nicht dem Mythos vom verkannten (männlichen) Künstlergenie. Erst nach ihrem Tod versank sie in den Wellen der männlichen Kunstgeschichtsschreibung.

„À la recherche: Hermine David“: bis 22. Januar 2017, Städtische Galerie Delmenhorst

Ab So, den 23. Oktober, entwickelt die Illustratorin Anke Bär im „Salon de Bär“ eine Graphic Novel über das Leben und Schaffen Hermine Davids

Der Autor ist Betreiber der Galerie K' in Bremen