„Jetzt hassen sie den IS“

IRAK Die Armee und die Kurden kämpfen gemeinsam vor Mossul. Jabar Jawar vom kurdischen Verteidigungsministerium hofft auf einen Neubeginn für die Stadt

Eine Frau nach der Flucht aus ihrem Dorf bei Mossul an einem irakischen Checkpoint Foto: Zohra Bensemra/reuters

Interview Karim Gawhary

taz: Herr Jawar, wie würden Sie die gegenwärtige Lage bei Mossul beschreiben?

Jabar Jawar: Der Beginn der Offensive war erfolgreich. Unsere Ziele wurden schneller erreicht, als wir dachten. Wir haben stärkeren Widerstand seitens des „Islamischen Staats“ (IS) erwartet.

Wie funktioniert die Kooperation zwischen den kurdischen Peschmerga und der arabischen irakischen Armee? In der Vergangenheit gab es ja eher Misstrauen.

Jabar Jawar

Foto: imago

ist Staatssekretär im Verteidigungsministerium in Erbil, der Hauptstadt des Autonomiegebiets im Nordirak.Unter dem Dach des Ministeriums kämpfen die kurdischen Peschmerga gemeinsam mit der irakischen Armee gegen den IS in Mossul.

Da hat sich vieles verändert. Ich würde sogar sagen, dass gerade die gute Kooperation zwischen kurdischen Peschmerga und der arabischen irakischen Armee für die jetzigen Erfolge verantwortlich ist. Noch nie in den vergangenen zwei Jahren gab es eine derartig gute Zusammenarbeit. Man darf auch nicht vergessen, dass es das erste Mal seit 25 Jahren ist, dass die irakische Armee auch auf kurdischem Gebiet in Zusammenarbeit mit den Peschmerga operiert.

Haben die irakische Armee, die im Jahr 2014 dem IS kampflos Mossul überließ, und die kurdischen Peschmerga, die unter starkem militärischem Druck des IS standen, im Kampf gegen die Dschihadisten dazugelernt?

Es geht darum, wie wir mit einem unkonventionellen Krieg umgehen. Wir kämpfen gegen Autobomben, Selbstmordattentäter, Scharfschützen und selbstgebastelte Sprengfallen. Die Peschmerga und die irakische Armee haben in den vergangenen zwei Jahren ihre Lektion gelernt. Wir haben solche Situationen trainiert. Dazu kommt die tägliche Erfahrung im Krieg selbst, die wir in den letzten zwei Jahren gemacht haben. Wir können jetzt wesentlich besser mit der Vorgehensweise des IS umgehen.

Wie würden Sie die Stärke des IS einschätzen?

Der IS befindet sich nach zwei Jahren Kampf im Niedergang. Seit Beginn dieses Jahres hat er sehr viel Territorium im Irak verloren und kontrolliert immer weniger Gebiete. Er hat weniger moderne Waffen und weniger Kapital zur Verfügung. Hinzu kommt, dass der IS jetzt den Preis für seinen brutalen Umgang mit der Bevölkerung zahlt. Einige haben den IS vielleicht früher willkommen geheißen, weil die Zentralregierung in Bagdad Fehler im Umgang mit den Einwohner von Mossul gemacht hat, aber jetzt haben sie genug vom IS. Der hat sie zu sehr terrorisiert, und deswegen hassen sie ihn jetzt. Anstatt mit dem IS zusammenzuarbeiten, kooperieren die Einwohner jetzt mit uns. Sie geben uns wertvolle Informationen über den IS, immer wenn wir ein Dorf erobern. All das hat dazu geführt, dass der IS heute schwächer ist.

Und was geschieht nach dem Sieg? In Mossul spiegeln sich Widersprüche des Irak wider, zwischen Schiiten und Sunniten, zwischen Kurden und Arabern. Werden diese Konflikte nach der Eroberung der Stadt wieder ausbrechen?

Vormarsch: Zwei Wochen nach Beginn der Offensive auf die IS-Hochburg Mossul sind irakische Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben erstmals auf das Stadtgebiet vorgedrungen. Eliteeinheiten der Armee hätten von Osten her die Stadtgrenze erreicht und diese überquert, sagte der Chef der irakischen Antiterrorkräfte, Talib Schaghati, am Dienstag dem Staatssender al-Irakija. „Wir haben nun mit der eigentlichen Befreiung Mossuls begonnen.“ Die Armee teilte zugleich mit, die Eliteeinheiten hätten den Ort Gogdschali am östlichen Stadtrand Mossuls und ein TV-Gebäude an der Stadtgrenze eingenommen.

Gegenwehr: Seit Beginn der Offensive kam es jedoch mehrfach noch zu Kämpfen in Orten, die zuvor nach offiziellen Angaben erobert worden waren. Immer wieder verstecken sich Scharfschützen und andere Kämpfer des IS in Gebäuden und Tunneln, von denen aus sie ihre Gegner angreifen. (dpa)

Nachdem die Menschen diese furchtbaren zwei Jahren der Unterdrückung unter dem IS erlebt haben, werden die alten Probleme zwischen den Konfessionen sowie Arabern und Kurden in der Stadt als klein und nichtig erscheinen. Wir hatten die gleichen Befürchtungen nach der Eroberung der irakischen Städte Ramadi und Falludscha. Die Menschen, die dorthin zurückgekehrt sind, sind heute damit beschäftigt, ihr Leben wieder aufzubauen. Die alten Probleme sind in den Hintergrund getreten. Der IS hat die Menschen terrorisiert und ­abgeschlachtet. Er hat es geschafft, dass die ­Menschen ihre alten Probleme vergessen haben.

Müsste dafür nicht auch die Zentralregierung in Bagdad in die Pflicht genommen werden, die in der Vergangenheit diese Konflikte eher geschürt hat?

Nachdem Mosul befreit ist, wird viel davon abhängen, wie sich die Regierung in Bagdad verhält. Werden sie zurückkehren zu ihren alten Verhaltensmustern aus der Zeit, ehe der IS gekommen ist? Die Zentralregierung muss mit den Menschen anders umgehen. Auch das Militär muss mit den Bürgern anders umgehen. Die Regierung muss Dienstleistungen zur Verfügung stellen und helfen, dass das, was zerstört wurde, wieder aufgebaut wird. Die Konkurrenz zwischen Schiiten und Sunniten oder Arabern, Kurden und Turkmenen muss endlich aufhören. Wir hoffen, dass die Befreiung von Mossul eine echte Veränderung einläuten wird.